Herausforderungen in der Wechseljahre-Aufklärung: Analyse und Kritik an Doc Essers Podcast

Dies ist eine E-Mail, die wir am 14. Juli um 17:55 Uhr an Doc Esser docesser@wdr.de geschickt haben. Sie ist hier im Originaltext veröffentlicht. Die Antworten auf die Fragen der WDR Hörerinnen werden wir zeitnah ebenfalls veröffentlichen.

<Anmerkung: wir haben sie inzwischen hier veröffentlicht.>

Was ich sehr gut finde, ist, dass er auf Instagram auf meinen Kommentar hin sofort reagiert hatte: @docesser „An welcher Stelle war es denn falsch? Das würden wir dann gerne korrigieren?“

Hallo Doktor Esser,

ich habe Ihren Podcast Beitrag “Wechseljahre – was ist normal?” vom 08.07.2022 gehört. Zunächst einmal vielen Dank Ihnen und Frau Schneider, dass Sie dieses wichtige und immer noch tabuisierte Thema aufgreifen.

Mein Name ist Susanne Liedtke, ich bin Gründerin der Plattform NOBODYTOLDME. Wir kämpfen dafür, dass Frauen gut vorbereitet und sich selbst wertschätzend in und durch die Wechseljahre gehen. Wir empowern mit Wissen, enttabuisieren und klären auf und wollen so ein neues Bewusstsein für die Wechseljahre schaffen. In diesen 90 Sekunden erzähle ich, was wir vorhaben. Die medizinische Leitung hat die am UKE ausgebildete Gynäkologin Dr. Christina Enzmann, die auch Mitglied der Nordamerikanischen Menopausen Gesellschaft – NAMS – ist.

Nachdem ich die Podcast Folge gehört hatte, war ich nach anfänglicher Euphorie leider enttäuscht. Mir war einiges, was Sie gesagt haben, nicht präzise genug. Als Zuhörerin der Podcast Folge ist man hinterher verunsicherter als vorher. Mir ist komplett bewusst, dass das Thema sehr komplex ist. Aber Sie bleiben ungenau, wo mittlerweile sehr klare Aussagen leitlinienbasiert machbar sind. Ich habe mich dann gefragt, warum Sie für diese Folge nicht eine Gynäkologin mit Spezialgebiet Wechseljahre eingeladen haben. Die Fachexpertise, die Sie mit den Zuhörerinnen teilen, klingt wie die eines Lungenfacharztes, Kardiologen und Intensivmediziners, der jedoch keinerlei klinische Erfahrung mit den Wechseljahren hat. Und wir – Dr. Christina Enzmann und ich – finden, dass Frauen bei diesem wichtigen Thema mehr Genauigkeit verdient haben. Die Zuhörerinnen sollten sich nach dem Hören dieser Podcastfolge besser informiert fühlen. Und das stellen wir in Frage.

Hier mal ein paar Beispiele, wo Sie ungenau bleiben:

Sie sprechen von der Prämenopause, wo Sie wahrscheinlich die Perimenopause meinen. Der Begriff “Prämenopause” ist zudem recht schwammig und wird beispielsweise in der Leitlinie “Peri- und Postmenopause – Diagnostik und Interventionen” überhaupt nicht definiert.

  

Sie sprechen von der Menopause wie von einer Phase – “dann kommt es letztendlich zur Menopause. Das heißt, die Menstruation wird immer unregelmäßiger und stellt sich dann irgendwann ein.” – wohlwissend, dass die Menopause selbst nur ein Zeitpunkt und keine Phase ist. Die Perimenopause kommt bei Ihnen gar nicht vor, obwohl das genau für viele Frauen die Jahre sind, in denen ihnen die hormonellen Imbalancen zu schaffen machen. Es geht uns hier nicht um Wortklauberei. Wir haben nur lange genug Halbgares zum Thema gelesen oder gehört und wir finden, dass Expert:innen mit großer Reichweite hier präzise sein sollten.

Auch beim Thema Verhütung bleiben sie leider unpräzise. Sie sagen: “Naja, sagen wir mal so Du kannst nach einem Jahr wirst du dann Post meno und dementsprechend brauchst du da auch nicht mehr zu verhüten.” Das ist so nur teilweise richtig. Die Leitlinien sagen hierzu folgendes: “Frauen in der Peri- und Postmenopause sollen auch über Verhütung informiert werden. Sie ist bei Frauen im Alter von über 50 Jahren für die Dauer von 1 Jahr nach der Menopause, bei Frauen unter 50 für die Dauer von 2 Jahren nach der Menopause notwendig.” (Quelle: Leitlinien, S. 48)     

Bei der Frage einer Zuhörerin, ob die Wechseljahre die Ursache für die Stimmungsschwankungen sein können, gehen Sie direkt auf Stress als mögliche Ursache ein und lenken so unbewusst von der Tatsache ab, dass gerade Stimmungsschwankungen eines der Symptome von Frauen in den Wechseljahren sind. Und sicher ist Stress in jedem Lebensalter ungesund, aber bei Frauen in der Lebensmitte steigert eben auch noch die möglicherweise auftretende hormonelle Dysbalance das Auftreten von Stimmungsschwankungen. Der Begriff “Stimmungsschwankungen” wird insgesamt 12 mal in den Leitlinien erwähnt und wird auch in einem ganzen Kapitel behandelt. Es ist also eines der Symptome, die wechseljahrsbedingt auftreten können. 

Kann es sein, dass dieses schnelle Umschwenken auf Stress als Ursache auch der Tatsache geschuldet ist, dass in Deutschland immer noch versucht wird, aus den Wechseljahren und ihren Symptomen möglichst kein Thema zu machen? Ganz im Sinne von: “Bloß nicht pathologisieren!”? Ich frag das einfach mal so, weil – rein anekdotisch – Ärzt:innen hier schnell mal nach anderen Ursachen suchen. Vielleicht auch deshalb, weil sie sich so wenig mit den Wechseljahren auskennen?

Auf die Frage, ob es Vorboten der Wechseljahre gäbe, antworten Sie unter anderem: “Letztendlich beweisen kann man das nur durch den Hormonnachweis”. In der Leitlinie heißt es dazu ganz klar: “Die verschiedenen Phasen des menopausalen Übergangs können überwiegend aufgrund klinischer Kriterien diagnostiziert werden. Hormonbestimmungen sind in der Regel nicht erforderlich.“ und weiter “Bei über 45-jährigen Frauen sollen die folgenden Tests und Verfahren nicht eingesetzt werden, um die Peri- oder Postmenopause zu diagnostizieren: Anti-Müller-Hormon, Inhibin A, Inhibin B, Östradiol, Antraler Follikel Count (AFC), Ovarvolumen, … Ein FSH-Test zur Bestimmung des Menopausenstatus sollte nur bei Frauen zwischen dem 40. und 45. Lebensjahr mit klimakterischen Symptomen und/oder Zyklusveränderungen bzw. bei Frauen unter 40 Jahren mit Verdacht auf vorzeitige Ovarialinsuffizienz (siehe Kapitel 7 prämature Ovarialinsuffizienz (POI))durchgeführt werden.” (Quelle: Leitlinien, S. 45f).

Nennen Sie uns ‘nerdig’, aber so lapidar, wie Sie das da sagen, gehen die Frauen mit dem Wunsch nach einem Hormontest zu ihrer Gynäkologin oder sie erwerben im Internet fragwürdige Speicheltests, die dort zuhauf angeboten werden und nichts anderes bringen, als den Frauen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Schon aufgrund der hohen Schwankungsbreite der Hormone macht es in dieser Lebensphase ab 45 wenig Sinn in einzelnen Tests auf die Hormone zu schauen.

Weiter bei den Vorboten der Wechseljahre erklären Sie: “dann irgendwann kommt es aber eben auch nicht mehr zu regelmäßigen Eisprung und dementsprechend wird auch nicht mehr so viel Östrogen produziert.” Das ist so schlichtweg falsch. Die verringerte Produktion von Östrogen liegt einzig und allein an der schlechteren Eizellqualität und an den ständig weniger werdenden Eizellen. Das Östrogen wird ja bereits während der Reifung der Eizellen produziert. Der fehlende Eisprung führt dann zu einem Ausfall der Produktion von Progesteron im jeweiligen Zyklus. 

Auf die Frage, was denn bei den Wechseljahren genau passiert, sprechen sie unter anderem vom pulsatierenden Ausschütten des LH: “Dafür ist zum Beispiel das Hormon LH wahrscheinlich zuständig, was eben auch immer wieder pulsatierend ausgeschüttet wird.“ Was Sie aber eigentlich meinen, ist das FSH. Das ist ein großer Unterschied! 

Später im Podcast, wo es um die Tabuisierung der Wechseljahre geht, da sagen Sie: “Ich hätte jetzt eher gedacht, das ist ein Thema, was enttabuisiert ist bzw. dass da eben Frauen auch offen drüber reden. Ich finde es aber auch gar kein Drama. Es ist ja letztendlich eine Begleiterscheinung für Älterwerden. So, und da kann sich ja keiner von uns freimachen. So ist das eben.” 

Und da werde ich so richtig wütend: da ist ein Mann und ein Mediziner mit Halbwissen, der Mansplaining macht. Der sich wundert, weshalb das Reden über die Wechseljahre tabuisiert ist und der meint, da kann man doch ganz einfach so offen drüber reden. Einer, der mit Sicherheit nicht seiner jüngeren Vorgesetzten in der Klinik schon mal sagen musste: “Du weißt du, ich leide unter erektiler Dysfunktion und deshalb geht es mir auch psychisch gerade nicht gut, bin unkonzentriert und deshalb bin ich hier gerade nicht so produktiv auf der Arbeit.” Das wäre nämlich so ungefähr das Pendant, wenn ein Mann offen über gesundheitliche Probleme vergleichbar zu den Wechseljahren reden sollte. Aber das ist doch kein Drama, das gehört doch zum Älterwerden dazu, oder? So ist das eben, Doc Esser. Versetzen Sie sich doch bitte mal in die Lage einer sagen wir 49 jährigen berufstätigen Frau. Sie sind mir da im Ganzen zu lapidar und zeigen damit umso mehr, dass Sie wenig Patientinnen Kontakt mit perimenopausalen Frauen haben. 

Sie betonen zudem, dass wir mehr auf den Alterungsprozess statt auf die Wechseljahre schieben sollten: “Du kannst nicht alles auf die Wechseljahre schieben, sondern du musst auch ein bisschen was auf das Altwerden schieben”. Wie wäre es denn, wenn wir überhaupt mal mehr auf die Wechseljahre schieben würden? Wie kann es sein, dass Hausärzt:innen so wenig aufgeklärt sind über diese Lebensphase, dass sie – anekdotisch – eher Psychopharmaka verschreiben, statt die Frauen zur Gynäkologin zu schicken?! Warum gibt es nicht eine standardisierte jährliche Erhebung der wechseljahrsbedingten Symptome von Frauen ab z.B. 45 Jahren. Es gibt beispielsweise die Menopause Rating Scale, mit der Gynäkolog:innen und Hausärzt:innen gezielt den Zustand bei Frauen abfragen könnten. Damit könnten auch Frauen schon früher realisieren, dass sie bereits mitten in der Perimenopause sind und dass sie spätestens jetzt besser auf sich Acht geben müssen?!

Männer kommen nicht in die Wechseljahre, auch wenn dies von den Medien gerne gesagt wird, weil es eben Quote bringt. Oder erleben Männer mal eben so in der Mitte ihres Lebens eine Umkehr der Pubertät?! Die Beschwerden von Frauen in der Lebensmitte überwiegend auf das Altern zu schieben, heißt die Wechseljahre klein zu reden und weiter zur Tabuisierung beizutragen. Aber de facto sind Millionen von Frauen betroffen. Die Daten dazu sind leider sehr dünn, aber angeblich kommen – wie Sie auch behaupten – nur ein Drittel der Frauen glatt durch die Wechseljahre. Zwei Drittel haben mit Symptomen zu tun und damit meine ich nicht nur die Frauen, die wirklich schwer betroffen sind, sondern auch die Frauen, denen es nur halb gut geht. Wachen Sie doch mal ein ganzes Jahr jede Nacht mitten in der Nacht auf und gehen dann morgens fröhlich zur Arbeit. Sicher ist frau nicht richtig krank, wenn frau schlecht schläft, aber frau hat einfach nicht die gleiche Energie. Früher erkannt und früher behandelt, heißt schneller wieder im guten Sinne produktiv sein. Wenn ich das Ganze überwiegend auf den Alterungsprozess schiebe, warum schlafen dann die meisten Männer in dieser Lebensphase ganz wunderbar innerhalb von drei Minuten neben ihren Frauen ein?! Es auf den Alterungsprozess zu schieben, hat etwas Fatalistisches. Etwas, woran ich eh nichts ändern kann. Aber Frauen können aktiv auf ihr Erleben der Wechseljahre Einfluss nehmen. Dazu bedarf es guter Aufklärung. Aber ich bin hier noch nicht fertig:

Zum Thema Blasenentzündung schreiben Sie nun leider etwas komplett Falsches. Sie sagen: “die chronische Blasenentzündung ist definitiv kein typisches Symptom der Wechseljahre”. Googeln Sie doch mal bitte: Urogenitales Menopause-Syndrom oder schauen Sie auf Seite 68 in die Leitlinien, bevor Sie das nächste Mal über die Wechseljahre öffentlich sprechen. Dort gibt es ein ganzes Kapitel mit dem Titel Urogynäkologie, welches über Belastungsinkontinenz, überaktive Blase und rezidivierende Harnwegsinfekte aufklärt. Von rezidivierenden Harnwegsinfektionen spricht man, wenn mindestens zwei innerhalb von sechs Monaten oder drei Infektionen innerhalb eines Jahres auftreten. In den Leitlinien steht auch: “Die Veränderung des Vaginalmilieus postmenopausaler Frauen disponiert zu Harnwegsinfektionen. Es besteht eine positive Korrelation mit höherem Alter.” Und diese können übrigens sehr gut lokal mit Estradiol oder Estriol haltigen Cremes verhindert werden, weil dadurch einfach die gesunde vaginale Schleimhaut erhalten bleibt.

Es hört aber nicht auf, dass Sie Halbwissen verbreiten. Sie warnen vor der erhöhten Aufnahme von Phytoöstrogenen wie Isoflavonen bei Europäerinnen. Das Deutsche Krebsforschungszentrum macht folgende Aussage zum Essen von sojahaltigen Produkten bei Brustkrebspatientinnen. Ich betone Brustkrebspatientinnen, also einer ganz besonders schützenswerten Gruppe. Dort heißt es:

“Nach Einschätzung nationaler und internationaler Fachgesellschaften sind ein bis zwei Portionen sojahaltiger Nahrungsmittel pro Tag (Isoflavongehalt ca. 25 – 50 mg) auch für Brustkrebspatientinnen und Brustkrebsüberlebende unbedenklich. Eine Portion entspricht etwa 100 g Tofu oder 250 ml Sojamilch. Auch eine antihormonelle Therapie mit Tamoxifen oder Aromataseinhibitoren spricht nicht gegen den Verzehr von Soja.

Gesunde Ernährung: Es gibt Hinweise, dass sojahaltige Lebensmittel möglicherweise sogar die Gesamtsterblichkeit nach einer Brustkrebserkrankung senken. Soja als Nahrungsmittel kann daher nach Auffassung des World Cancer Research Funds (WCRF) neben einem normalen Körpergewicht, sportlicher Aktivität und einer ballaststoffreichen, fettarmen Ernährung zu einer ausgewogenen und gesunden Lebensführung nach Brustkrebs beitragen.

Warnung vor Nahrungsergänzungsmitteln: Da Daten aus hochwertigen Studien fehlen, kann nicht sicher ausgeschlossen werden, dass Sojaisoflavone in größeren Mengen das Rezidivrisiko bei Brustkrebs steigern. Insbesondere Frauen mit oder nach einer hormonabhängigen Brustkrebserkrankung rät das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) daher von Nahrungsergänzungsmitteln mit isolierten Isoflavonen explizit ab.” Quelle: DKFZ

Es geht aber noch weiter: spätestens als sie zur Hormon-Ersatz-Therapie kommen, da hinterlassen Sie mehr Unsicherheit als Klarheit. Sie kennen sich mit den Studien nicht aus und entsprechend kommt die große generelle Warnung vor einer Hormon-Ersatz-Therapie. Das ist weit entfernt von einer differenzierten Betrachtung, von der Abwägung der Chancen und der Risiken. Und es lässt auch vollkommen aus, dass Übergewicht und Alkoholkonsum deutlich stärker das Brustkrebsrisiko steigern, als es das eine Hormon-Ersatz-Therapie macht. In der Kombination potenziert sich das Risiko natürlich, aber das sprechen Sie überhaupt nicht an. Ich bin weder für noch gegen eine Hormon-Ersatz-Therapie, ich möchte, dass Frauen die Fakten kennen und dann für sich gemeinsam mit ihrer Ärztin oder ihrem Arzt eine Entscheidung treffen. Nur so halbe Fakten, die weder falsch noch ganz richtig sind, weil sie eben vieles auslassen, helfen uns Frauen in der Entscheidungsfindung kein Stückchen weiter im Gegenteil.

Und weil Dr. Christina Enzmann und ich mit Ihren Antworten so unzufrieden waren, hat Frau Dr. Enzmann entsprechende Antworten aufgenommen bzw. aufgeschrieben.

Sie finden alle Antworten im Anhang. Gerne bietet Frau Dr. Enzmann Ihnen an, einmal als Gast in Ihrem Podcast zu sprechen. Es geht uns hier auch gar nicht um Werbung für nobodytoldme.com. Es geht uns darum, dass Frauen für diese Lebensphase besser aufgeklärt werden. Wenn es uns um Kommerz gehen würde, dann hätten wir uns nicht die Zeit genommen, das hier alles aufzuschreiben und aufzunehmen.

Wir planen, die Antworten zeitnah bei uns auf nobodytoldme.com zu veröffentlichen. Wir würden uns aber sehr gerne auch vorab mit Ihnen austauschen.

Viele Grüße in den Westen

Christina Enzmann & Susanne Liedtke