Die Revolution der Wechseljahre: Ein Blick auf das sich wandelnde Verständnis und die Lösungen für Frauen
Seit drei Jahren existiert in Schottland das „Flush-Fest”, das einzige Menopausenfestival der Welt. Zwei Tage lang gibt es Vorträge unter anderem über Hormontherapien, Seminare über Kognitive Verhaltenstherapie; ein Motivationstraining, bei dem man gemeinsam „Go, Meno” skandiert, Yoga- und Ernährungsworkshops, Musik und Kabarett. Anwältinnen diskutieren mit Besucherinnen, wie man sich gegen Diskriminierung bei Menopause am Arbeitsplatz wehren kann.
2000 Frauen kamen 2019 in den kleinen Ort Perth und Produzentinnen aus aller Welt boten dort an Verkaufsständen an, was dem Körper in der Menopause gut tut: Unterwäsche aus Baumwolljersey, die das Schwitzen reduzieren, Tees, die die Trockenheit der Vagina mindern, Sanddornfruchtfleischöl, das die Haut regenerieren, Toilettensitze, die bei Verstopfung helfen sollen; Stöpsel, die die Harnröhren schmaler machen, Handventilatoren, hypoallergene Gleitmittel, Inkontinenzhöschen.
Es ist das Hilfsbesteck, dass das Leben mit all den Apokalyptischen Reitern angeblich erträglicher machen kann, wenn sie in der Perimenopause im Sturmgalopp angeprescht kommen. Um nur einige von ihnen zu nennen: Gewichtszunahme, schlechte Verdauung, die Elastizität vieler Organe wie Blase oder Enddarm nimmt ab, Inkontinenz, Trockenheit der Scheide, der Haare, der Haut, Kopfschmerzen, eine Periode, die zwischenzeitlich so heftig werden kann, dass die Dusche aussieht wie nach einem Blutbad, Probleme mit dem Gedächtnis, Konzentrationsstörungen, Herz-Kreislauferkrankungen, Osteoperose, Sodbrennen, Haare fallen aus und andere wachsen da, wo man sie nicht haben möchte: an der Oberlippe.
Außerdem ist jede zweite Frau ab Mitte 40 von Gelenkschmerzen betroffen, dahinter steckt ebenfalls häufig das altersbedingte Absinken des Östrogenspiegels. Morgens ist die Unbeweglichkeit in den Gelenken typischerweise besonders ausgeprägt, das erklärt, warum man sich an manchen Tagen beim Aufwachsen so fühlt, als sei man gestern quer durch die Mongolei geritten.
Die Liste scheint bestürzend lang, der Grund für die Anhäufung all dessen, was man anfangs entsetzt als Verfall im Zeitraffer betrachtet: in der Perimenopause werden die weiblichen Hormone Östrogen und Progesteron nicht mehr mit der gleichen Regelmäßigkeit von den Eierstöcken produziert, wie während des regelmäßigen monatlichen Zyklus-Rhythmus der reproduktiven Jahre. Die Anzahl der Eizellen – bei der Geburt sind es circa eine Million, von denen die meisten ungenutzt nach und nach absterben – nimmt ab. Mit Ende 30 sind von den ursprünglichen Eizellen etwa 25 000 noch übrig, wenn es auf die letzte Menstruation zugeht, gibt der Körper mal keine, mal mehrere Eizellen frei. Und das bringt die starken Schwankungen aller Hormone mit sich. Der monatliche Zyklus kann sich verkürzen, ein paar Monate ausbleiben, die Blutung kann stärker werden. Nach etwa 455 Regelblutungen, während der ein Ei befruchtet werden könnte – mit ungefähr 52 Jahren – existiert kein Ei mehr und es kommt zur letzten Blutung, der Menopause, die Eierstöcke produzieren kein Östrogen mehr.
„Jeden Tag stehe ich vor dem Spiegel und beobachte meinen Körper genau”, sagte eine Freundin. „Es ist so, als ob ich jeden Morgen eine neue Falte, eine neue Delle sehe. ” „Als ich 30 war, hatte ich viel an meinem Körper auszusetzen”, sagte eine andere. „Jetzt hätte ich gerne genau diesen Körper wieder.”
Und dann gibt es noch die im Bekanntenkreis, die alles tun, um möglichst alterslos zu altern. Bei denen jedes Jahr der Geburtstag der augenzwinkernd 39te ist, und die schon Hormone nehmen, bevor sie überhaupt in den Wechseljahren sind. Östrogen scheint vielen die Verheißung auf eine verlängerte optische Jugend zu sein. Die Wirkstoffe werden auch in Gels verarbeitet und so täuschen die Dauer-39jährigen Wechseljahresprobleme bei ihrer Ärztin vor, um den gehypten heißen Stoff zu bekommen und den gefürchteten Verfall aufzuhalten. Sie tragen das Gel nicht nur wie empfohlen auf den Oberarminnenseiten auf, sondern sie schmieren es auch direkt auf Augenringe, Hamsterbäckchen und das knitternde Dekolleté. „Alles, was hilft, ist gut, Nebenwirkungen egal”, sagte eine Bekannte. Dass das sehr viel differenzierter betrachtet werden muss, besprechen wir in dem Beitrag zum Thema Hormontherapie.
Was dem Körper, was ihm im Innen und Außen hilft während dieser Zeit des Radikalumbaus, das rückt mittlerweile immer mehr auch in den Fokus der Kosmetik-, der Ernährungs-, der Heilmittel- und der Kleidungsindustrie. So haben einige Fashion Brands angefangen, T-Shirts, Nachthemden, Unterwäsche und Leggings aus Stoffen zu produzieren, die die Haut kühlen und Schweiß aufsaugen, darunter z.B. „Become” aus Sri Lanka, die Kleidung mit einer eingebauten Hitze bekämpfenden Technologie entwickelt haben.
Mit gutem Grund: Im Jahr 2030 sollen weltweit angeblich 1,2 Milliarden Frauen in der Menopause sein, sagt Kelli Jaecks aus Oregon/USA, die Keynote-Speakerin ist zum Thema Menopause und Autorin des Buchs „Martinis und Menopause“. Das sind 1,2 Milliarden Frauen, die wissen wollen, was mit ihrem Körper passiert und wie sie am besten und individuell damit umgehen können.
Vor hundert Jahren hießen die Tipps für die Frau mit Wechseljahresbeschwerden: Iss keine Wurst, vor allem nicht vor dem Zubettgehen. Nimm einen Schwamm und wasche deinen Körper dreimal täglich mit aromatisiertem Essig. Platziere mehrere Blutegel am Anus. Nimm alle fünfzehn Tage einen Tag lang nur Milch zu dir. Trink das Knochenmark frisch getöteter Tiere. Lass dir eine Transfusion von Hundeblut geben.
Times are changing. Zum Glück.
Im nächsten Beitrag geht es um porzellanzerschmetternde Wut, einen unverschämten Sigmund Freud und um Unsichtbarkeit.