Der Zusammenhang ist vielen nicht bekannt, aber tatsächlich tragen unsere Darmbakterien mit zu einem stabilen Östrogenspiegel bei.
Der jetzt vorliegende Artikel ist ein erster Entwurf und soll dazu beitragen, komplexe Vorgänge einfach zu verstehen. Er erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ich freu mich über Feedback unten in der Kommentarzeile oder an hello@nobodytoldme.com.
Darmbakterien spielen eine wichtige Rolle im Östrogenstoffwechsel von Frauen.
Die meisten unter uns haben sich bestimmt nie Gedanken über ihren Östrogenstoffwechsel gemacht. Wozu auch, wenn es keine Probleme gibt und der Zyklus wie ein Strich-Achter auf der Landstraße schnurrt?
Erst wenn nichts mehr rund läuft, fangen wir an zu recherchieren, lesen uns ein und hören zum ersten Mal von Zusammenhängen, die wir nie zusammengebracht hätten. Wer hätte gedacht, dass ein Teil unserer Darmbakterien ein wichtiger Faktor für die Regulation unseres Östrogenstoffwechsels ist?
De facto spielt unser Mikrobiom im Darm eine entscheidende Rolle dabei, wie viel Östrogen in unserem Körper vorhanden ist und wie gut das Gleichgewicht gehalten wird.
DAS ÖSTROBOLOM
Genauer gesagt ist dieser Teil des Mikrobioms das Östrobolom. Das Östrobolom bezeichnet die Gesamtheit der im Darm lebenden Bakterien, die in der Lage sind, Östrogene zu verstoffwechseln und zu regulieren.
“Das Darmmikrobiom spielt eine wichtige Rolle für das Östrogengleichgewicht im Körper, und ein gesünderes Darmmikrobiom kann ein wirksames Mittel gegen hormonelles Ungleichgewicht und Östrogenmangel sein, einschließlich der Symptome, die sich in den Wechseljahren zeigen.”
Dr. Will Bullsiewicz
WAS GENAU MACHEN ÖSTROGENE IM DARM?
Die Ausscheidung von Östrogenen ist ein essenzieller Prozess zur Aufrechterhaltung des Hormonhaushalts und zur Vermeidung einer schädlichen Ansammlung von Hormonen im Körper.
Nach getaner Tat zirkulieren unsere Hormone im Blut bis sie irgendwann in der Leber ankommen. In der Leber wird ein Teil der Östrogene so umgewandelt, dass sie wasserlöslich sind. Diesen Vorgang nennt man Konjugation. Danach werden sie über die Galle in den Darm ausgeschieden. Diese wasserlösliche Form des Östrogens ist inaktiv und wird normalerweise im Stuhl nach draußen befördert.
Der Körper reguliert so ständig den Spiegel von Hormonen wie Östrogen. Überschüssige Hormone werden durch Ausscheidung entfernt, um die Balance zu wahren und die normale Funktion des endokrinen Systems sicherzustellen. Zu viel zirkulierendes Östrogen kann zu einer Vielzahl von Gesundheitsproblemen führen, darunter hormonabhängige Tumore oder Störungen des Menstruationszyklus.
Was aber, wenn unser Körper ohnehin schon auf Sparflamme fährt und nur wenig Östrogen vorhanden ist? Dafür hat er einen Ass im Ärmel: das Östrobolom. Denn die Bakterien, die dazu zählen, können einen Teil der Östrogene im Darm wieder in ihre aktive Form umwandeln (dekonjugieren nennt man das). Sie produzieren dazu das Enzym β-Glucuronidase.
Die jetzt wieder fettlöslichen Östrogene werden über die Darmwand aufgenommen und gelangen zurück in den Blutkreislauf, können so wie zuvor an Östrogenrezeptoren andocken und entsprechend wirken, bis sie irgendwann wieder in der Leber landen und der Kreislauf von vorne losgeht. So kann das Östrobolom zu einer Stabilisierung des Östrogenstoffwechsels beitragen und der Mangel an Östrogen, den wir in den Wechseljahren erleben, kann teilweise dadurch kompensiert werden, indem das Östrogen einfach mehrfach verwendet wird.
UNSER KÖRPER, DER RECYCLER
Diesen physiologischen Prozess, dass Substanzen mehrfach zwischen Blut, Leber, Galle und Darm zirkulieren, bevor sie endgültig ausgeschieden werden, nennt man enterohepatischen Kreislauf. So werden nicht nur das Östrogen, sondern auch Cholesterin und Gallensalze recycelt.
VERÄNDERUNGEN DES ÖSTROBOLOMS WÄHREND DER WECHSELJAHRE
Während der Wechseljahre durchläuft der Körper einer Frau nun erhebliche hormonelle Veränderungen, die auch das Östrobolom beeinflussen:
Zum einen geht der Östrogenspiegel zurück. Die Produktion von Östrogenen in den Eierstöcken nimmt auf lange Sicht nach und nach ab bis sie zum Erliegen kommt. Dieser fortschreitende Rückgang führt zu einem geringeren Angebot an Östrogenen.
Wird weniger Östrogen vom Körper produziert, so kommt auch weniger davon bei den vom Östrogen abhängigen Darmbakterien an. In der Folge ziehen sie sich zurück und schaffen so Platz für andere Bakterienarten. Jetzt fehlen diese wichtigen Recycler und so wird das immer weniger werdende Östrogen auch noch schneller ausgeschieden, weil es nicht mehr aktiviert wird. Ohne Aktivierung wird es nicht zurückresorbiert.
Studien zeigen, dass die Diversität und die Anzahl nützlicher Bakterien während der Wechseljahre insgesamt abnimmt. Gute Bakterien wie Akkermannsia werden weniger und schlechte Bakterien, zum Beispiel solche, die mit Gewichtszunahme assoziiert sind, vermehren sich stärker. Das Mikrobiom postmenopausaler Frauen ähnelt viel mehr dem von Männern als dem von prämenopausalen Frauen. Während es also in jüngeren Jahren geschlechstspezifische Unterschiede in der Zusammensetzung des Mikrobioms gibt, gilt dies nicht mehr für die Zeit ab der Postmenopause.
Es gibt Hinweise darauf, dass ein durchlässiger Darm während der Wechseljahre wahrscheinlicher wird.
DIE WIRKUNG DES ÖSTROGENS IM DARM
Östrogen ist ja viel mehr als ein Sexualhormon. Zum einen ist es mit einer größeren Diversität im Darm assoziiert. Dann boosted es die wichtige Barrierefunktion der Darmschleimhaut. Und last noch least kann Östrogen einen durchlässigen Darm – Leaky Gut – auch wieder umkehren und schützt so nachhaltig unser Immunsystem.
WAS BEDEUTET DAS AUF LANGE SICHT?
Diese Veränderungen im Östrobolom können die Symptome der Wechseljahre verschlimmern, wie Hitzewallungen, Stimmungsschwankungen und Schlafstörungen, da der Östrogenspiegel weiter absinkt. Wobei die Schwankungen der Hormone vielen Frauen mehr zu schaffen machen, als der Rückgang des Östrogens an sich. Die Wechseljahre sind grundsätzlich keine Hormonmangel-Krankheit, aber für eine recht große Gruppe von Frauen sind sie mit starken Beschwerden verbunden. Deshalb sprich mit deiner Gynäkologin, wenn du Beschwerden hast. Mehr dazu findest du hier.
EIN WORT ZU BALLASTSTOFFEN
Auch Ballaststoffe spielen eine wichtige Rolle im Östrogenstoffwechsel. Bekommen unsere Darmbakterien davon nicht genug, dann können sie viele wichtige Jobs für uns nicht oder nur unvollständig leisten. Und jetzt kommt die traurige Nachricht: ganze 75 Prozent (!) der Frauen in Deutschland erreichen den empfohlenen Richtwert der Deutschen Gesellschaft für Ernährung für Ballaststoffe nicht. Das sind 30 Gramm pro Tag. Eigentlich eine lächerlich kleine Menge im Vergleich zu der, die unsere Vorfahrinnen zu sich genommen haben. Aus Studien wissen wir, dass Naturvölker auf etwa 100 Gramm am Tag von dem guten Zeug kommen. Und das bedeutet, dass die Darmbakterien auf Sparflamme laufen und häufig mangelt es auch an Diversität. Die kommt nämlich erst, wenn wir möglichst viele verschiedene pflanzliche Lebensmittel zu uns nehmen. Ballaststoffe haben also eine indirekte Wirkung auf unseren Östrogenstoffwechsel.
Sie wirken aber auch direkt: ernähren wir uns ballaststoffreicher, so gibt es weniger Möglichkeiten für Stoffe mit der Darmwand in Kontakt zu kommen. Häufig sind die Ballaststoffe im Weg und das ist gut so. Es braucht wie bei allem im Leben das richtige Maß. Einerseits wollen wir, wenn unsere Eierstöcke immer weniger Östrogen ausschütten, möglichst viel davon im Körper recyceln, aber andererseits wollen wir auch nicht zu einer Östrogendominanz beitragen. Bei einem niedrigen Gehalt an Ballaststoffen im Darm, kann mehr Östrogen in kürzerer Zeit zurückresorbiert werden. Liegt aber ohnehin schon zu viel Östrogen im Körper vor, was in der Perimenopause durchaus vorkommen kann, dann verstärkt dies die Beschwerden. Ein PMS wird stärker, die Brüste schmerzen aufgrund von Wassereinlagerungen, die Periode ist schmerzhafter, es kann zu abnormalen Blutungen kommen … die Liste ist lang. Deshalb ist es eine gute Idee, sich täglich vorzunehmen, die Mindestmenge an Ballaststoffen auch zu sich zu nehmen. Gute Quellen dafür sind: Leinsamen, Chiasamen, Hanfsamen mit Schale (alle geschrotet), Hülsenfrüchte, Quinoa, Vollkornhafer, Vollkorngerste, alle Gemüse, und Beerenobst. Ergänzend können auch gemahlene Flohsamenschalen oder Akazienfaser Pulver helfen. Mehr dazu findest du hier.
Ernährst du dich ballaststoffreich, so hast du ein vielfältigeres Mikrobiom und du scheidest mehr überschüssiges Cholesterin, Östrogen und auch Gallensalze aus. So hast du eine bessere Regulierung dieser Substanzen, die dein Körper zwar auch unbedingt braucht, aber eben nur in einer bestimmten Menge.
Denn auch die oben hochgelobte β-Glucuronidase sollte im Darm nicht im Übermaß vorhanden sein. Eine erhöhte Aktivität im Darm kann potenziell schädlich sein, da sie die Entgiftung von Karzinogenen beeinträchtigen kann. Die Enzymaktivität kann dazu führen, dass krebserregende Substanzen reaktiviert werden, die ursprünglich von der Leber in eine weniger schädliche Form umgewandelt und dann durch Bindung an Glukuronsäure zur Ausscheidung vorbereitet wurden.
Die Aktivität von β-Glucuronidase kann auch die Wirksamkeit bestimmter Medikamente beeinflussen, indem sie die erneute Freisetzung von Medikamentenmetaboliten im Darm fördert. Dies kann die Bioverfügbarkeit von Arzneimitteln verändern und zu unerwünschten Nebenwirkungen führen.
Das regelmäßige Essen von fermentierten Lebensmitteln wie Sauerkraut oder Kimchi reduziert die Aktivität der β-Glucuronidase.
WAS bedeutet das NUN für dich?
Jetzt kannst du den Rückgang des Östrogens nur bedingt aufhalten (es sei denn, du nimmst Hormone ein). Aber du kannst in jedem Fall deinen Körper darin unterstützen, dass es das, was noch vorhanden ist, besser recycelt.
1. Iss mindestens 30 verschiedene pflanzliche Lebensmittel pro Woche. Dazu zählen: Pilze, Gemüse, Kräuter, Gewürze, Hülsenfrüchte, Pseodogetreide, Vollkornhafer und Obst.
2. Iss mindestens 30 Gramm Ballaststoffe täglich jeden Tag, sieben Tage die Woche und 365 Tage im Jahr.
3. Iss täglich eine Portion fermentiertes Gemüse.
WIE ES ZU DIESEM ARTIKEL KAM
Kürzlich griff der Gastroenterologe Dr. Will Bulsiewicz – aka „Dr. B“ – die Bedeutung des Mikrobioms für den Östrogenstoffwechsel in seinem Newsletter auf und das erinnerte mich daran, dass ich darüber immer schon mal schreiben wollte. Unten habe ich dir seine (Koch-)Bücher und seinen Newsletter verlinkt.
Dr. Will Bulsiewicz ist Gastroenterologe. Auf seiner Seite The Plant Fed Gut kannst du seinen Newsletter abonnieren (auf Englisch) oder du folgst ihm auf Instagram. Sein Buch „Fibre Fuelled“ wurde auf Deutsch übersetzt und bei millemari verlegt: Dein Bauch macht dich gesund. Er tritt häufiger bei ZOE Science and Nutrition im Podcast auf.
QUELLEN
Baker, James M., Layla Al-Nakkash, and Melissa M. Herbst-Kralovetz. „Estrogen–gut microbiome axis: Physiological and clinical implications.“ Maturitas 103 (2017): 45-53.
Ervin, Samantha M., et al. „Gut microbial β-glucuronidases reactivate estrogens as components of the estrobolome that reactivate estrogens.“ Journal of Biological Chemistry 294.49 (2019): 18586-18599. APA
Hu, Shiwan, et al. „Gut microbial beta-glucuronidase: a vital regulator in female estrogen metabolism.“ Gut Microbes 15.1 (2023): 2236749.
Peters, Brandilyn A., et al. „Menopause is associated with an altered gut microbiome and estrobolome, with implications for adverse cardiometabolic risk in the hispanic community health study/study of latinos.“ Msystems 7.3 (2022): e00273-22.
Kumari, Nikki, et al. „From gut to hormones: unraveling the role of gut microbiota in (phyto) estrogen modulation in health and disease.“ Molecular Nutrition & Food Research 68.6 (2024): 2300688.