Zwischen Hormonen und Hoffnung: Die Debatte um Hormontherapien in den Wechseljahren
Als die Wechseljahresbeschwerden bei mir immer heftiger wurden, fragte ich mich, was denn nun der richtige Weg sei, damit umzugehen. Sich zusammenreißen und Sojakapseln schlucken? Ich probierte alles Pflanzliche, was einen klangvollen Namen als Beschwerdekiller hat: Traubensilberkerze, Rotklee, Sibirischer Rhabarber und Mönchspfeffer. Nichts veränderte sich, auch wenn die Wirksamkeit einiger pflanzlicher Mittel belegt ist. Ich fragte meine Cranio-Sacral-Therapeutin. Sie riet mir, die Wechseljahre nicht als Verlust, sondern als Bereicherung zu betrachten. Zu erkennen, dass sich die Hitze des Lebens vom Becken in das Herz verlagere und dort Weisheit, Liebe und neue schöpferische Energie frei würden. Körperliche Beschwerden seien lediglich Energiestörungen und die Chance, Verhaltensweisen zu überprüfen und zu ändern. Und auch die anthroposophische Medizin betrachtet die Wechseljahre als Ausdruck eines intensiven Entwicklungsprozesses ebenso wie Zahnwechsel und Pubertät. Da muss man durch, am Ende steht ein seelisch geistig gereifter Mensch. Nichts schien mir momentan unerreichbarer als dieser Zustand und die Umschreibung zweite Pubertät wie der blanke Hohn. Nach der ersten Pubertät beginnt das pralle Leben, nach der zweiten – das Alter?
Die Hormonersatztherapie, die meine Ärztin vorschlug, war vor fast 20 Jahren unter anderem wegen des erhöhten Brustkrebsrisikos in Verruf geraten, schien aber mittlerweile rehabilitiert. Zwei Wissenschaftler, die an der 2002 veröffentlichten sogenannten WHI-Studie mit 27.000 Frauen zwischen 50 und 79 gearbeitet hatten, stellten im März 2016 klar, dass die Ergebnisse für einen erheblichen Teil der Frauen leider falsch interpretiert worden seien. Mit massiven Folgen: Im Jahr 2000 nahm fast jede zweite Frau zwischen 55 und 60 Jahren Hormone, ab 2002 setzten Tausende Frauen ihre Hormonersatztherapie ab, weil sie sich vor Brustkrebs, Lungenembolien und Schlaganfällen fürchteten.
Der Fehler damals: Die Studienteilnehmerinnen waren mit durchschnittlich 63 Jahren zu alt, um Rückschlüsse auf Frauen mit Wechseljahresbeschwerden ziehen zu können. Sie hatten die Wechseljahre längst hinter sich, jede zweite von ihnen wies auch noch bedeutende Risikofaktoren wie Übergewicht oder Bluthochdruck auf. Außerdem war nur ein einziges Präparat in einer für die Altersgruppe zu hohen Dosierung geprüft worden. Betrachtet man dagegen nur die jüngeren Frauen, zeigen sich weniger Knochenbrüche, weniger Diabetes-Erkrankungen und weniger Todesfälle als ohne die Tabletten. Zudem stellte man fest, dass das Risiko für Brustkrebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen erst bei längerer Behandlung und bei älteren Frauen ansteigt.
Der ehemalige Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte, Dr. Christian Albring, sagt, dass mindestens ein Drittel aller Frauen in den Wechseljahren so sehr beeinträchtigt sind, dass sie medizinische Unterstützung brauchen, die über Tipps zur Lebensführung und pflanzliche Präparate hinausgeht. Trotzdem, auch neuere Studien widersprechen einander. Vor allem, wenn man Kombinationspräparate einnimmt, also eine Östrogen-Gestagen-Therapie, wie sie bei vorhandener Gebärmutter notwendig ist, um die Entwicklung von Vorstufen eines Gebärmutterkarzinoms zu vermeiden. Eine dänische Studie mit 1000 Frauen zwischen 45 und 58 Jahren hatte hier keine erhöhte Gefahr für Brustkrebs festgestellt. Eine weitere Auswertung der Daten aus der WHI-Studie kam 2013 dagegen zu dem Ergebnis, dass das Risiko umso stärker steige, je früher man beginne. Deutsche Experten wiederum gehen davon aus, dass sich dieser Effekt erst nach einer fünf- bis sechsjährigen Therapie einstellt und danach allmählich ansteigt.
Ich zitierte meiner Gynäkologin gegenüber einen Text des Feministischen Frauengesundheitszentrums, der anführt, dass 20 Prozent der Erkrankungen an invasivem Brustkrebs auf die Hormontherapie während der Wechseljahre zurückzuführen seien. Gynäkologischen Fachgesellschaften wie dem Deutschen Verband der Frauenärzte unterstellt er gezielte Desinformation. Ihre Antwort war schlicht und sachlich:
„Von 1000 Frauen, die länger als fünf Jahre Hormone nehmen, bekommen sechs deswegen Brustkrebs. Zwei Gläser Wein am Tag oder Übergewicht erhöhen das Risiko viel mehr. Das ist Fakt.“
Sie telefonierte mit einem Kollegen wegen meines leicht erhöhten Blutdrucks, schickte mich zur Abklärung eines möglichen Thromboserisikos zu meinem Hausarzt, der wiederum mit einer Thrombosespezialistin telefonierte. Ich bekam grünes Licht. Und war mir trotzdem nicht sicher, ob eine Hormontherapie das Richtige für mich ist. Es geht um den individuellen Leidensdruck, sagte meine Ärztin. Mein individueller Leidensdruck schwankte ungefähr 40 mal am Tag. Aber die Zeit lief. Eine Hormonersatztherapie sollte im Idealfall sofort bei Eintreten der Wechseljahre beginnen, um den größtmöglichen Benefit zu erlangen, sagt der Berufsverband der Frauenärzte.
Hormone ja oder nein, das ist definitiv der Kampf der zweiten Lebenshälfte. Hormonfan gegen Hormongegner. „Eine Frau, die keine Probleme hat, hat nicht das Recht, diese Therapie anderen, die Probleme haben, madig zu machen“, sagt der Wiener Endokrinologe Prof. Johannes Huber. Und auch unter denen, die mit Hormonen liebäugeln, gibt es zwei Gruppen: die Verfechter synthetischer Hormone gegen die Fans bioidentischer Hormone (BIHs).
Ich besuchte mit zehn weiteren Frauen in einer Yogapraxis den Vortrag „Wie Hormone uns beeinflussen“. Brigitte Mergard ist Frauenärztin in Hamburg und beschäftigt sich seit knapp 40 Jahren mit Hormonen und dem Thema Altern. Sie fand das, was allgemein in dieser Phase des Lebens angeboten wird, nicht zufriedenstellend. Und sie bietet Therapien mit sogenannten bioidentischen Hormonen an.
„Die Gefahr des Hormonmangels und was er mit unserem Leben macht, wird aufgrund all der Risikoanführungen außer Acht gelassen“
sagt sie. Was aber sind bioidentische Hormone? „Damit meinen wir Hormone, die exakt dieselbe Bauweise haben, die der Körper kennt – geschützt ist der Begriff aber nicht“, sagt Brigitte Mergard. BIHs verhalten sich im Körper genau wie die körpereigenen Substanzen, während chemisch veränderte zum Beispiel länger wirken oder „nur an ein paar Stellen andocken, aber nicht an allen“, so die Frauenärztin. Sie kennt das Gegenargument, dass die eventuell schädliche Langzeitwirkung bioidentischer Hormone nur mangelhaft erforscht sei. „Wenn jemand Diabetiker ist, dann bekommt er körperidentisches Insulin“, sagt sie. „Leute mit Schilddrüsenfunktionsstörung bekommen körperidentische Medikamente, nur bei der Hormonersatztherapie in den Wechseljahren ist da plötzlich so eine Blockade.“
Petra Stute ist Leitende Ärztin der Gynäkologischen Endokrinologie der Uniklinik Bern. Sie wiederum sagt, dass bei bioidentischen Hormonen immer suggeriert werde, dass alles, was natürlich sei, keine Nebenwirkungen habe. Das sei aber nicht richtig. Auch bioidentische Hormone haben die bekannten Nebenwirkungen der Hormonersatztherapie. Und ja, BIHs würden aus Pflanzen hergestellt, aber auch viele nicht bioidentische Hormone würden aus Yams oder Soja gewonnen.
„In der konventionellen Hormontherapie kommen sowohl BIHs als auch synthetische Präparate zum Einsatz. Effektiv sind alle“
sagt Petra Stute. „Bei den Östrogenen spielt im Hinblick auf Thromboembolien oder Schlaganfall ohnehin mehr als die Art des Hormons die Anwendungsform die Hauptrolle.“ Über die Haut aufgenommene Östrogene sind sicherer als oral eingenommene. „Bei den Gestagenen gibt es Hinweise, aber keine endgültigen Beweise, dass natürliches Progesteron als Kombipartner eines Östrogens sicherer für das Herz-Kreislauf-System ist als synthetisches Gestagen.“ Es komme immer auf das therapeutische Ziel an: „Bei Blutungsstörungen erreicht man beispielsweise die Blutungsstillung mit einem synthetischen Gestagen oft besser als mit einem bioidentischen. Bei Haarausfall hilft ein synthetisches Gestagen ebenfalls häufig besser. Liegen Schlafstörungen vor, dann ist wiederum das BIH Progesteron am besten.“
Großer Kritikpunkt ist für Petra Stute, dass BIHs oft gar nicht als zugelassenes Fertigarzneimittel verordnet werden, die alle Tests zur Wirksamkeit und Sicherheit durchlaufen haben – sondern auf Privatrezepten als individuelle Rezepturen angemischt werden. „Wenn eine Frau so ein Präparat nimmt, hat sie keine Ahnung, welchen Risiken sie sich aussetzt, da es keine Studien dazu gibt. Ich sehe keinen Grund, die Fertigarzneimittel zu ignorieren und stattdessen eine individuelle Mischung zu verschreiben, die die Patientin auch noch oftmals selbst zahlen muss.“ Dass solche Zubereitungen grundsätzlich besser auf die einzelne Patientin abgestimmt werden als synthetische, hält sie für reines Marketing.
„Ich sehe keinen Grund, die Fertigarzneimittel zu ignorieren und stattdessen eine individuelle Mischung zu verschreiben, die die Patientin auch noch oftmals selbst zahlen muss.“ – Prof. Dr. Petra Stute
Wie soll man sich also entscheiden, um durch diese gemeinen, verwirrenden und oft auch komischen Jahre zu kommen? Der Endokrinologe Johannes Huber sagt: „Die oberste Autorität ist nicht ein Gremium von Professoren, sondern der eigene Körper.“
Am Ende muss man also darauf vertrauen, dass man spürt, was die richtige Wahl für einen selbst ist.
Im nächsten Beitrag geht es um das Gefühl wieder 13 zu sein, warum gleichzeitige Anwesenheit von Wechseljahren und Pubertät im gleichen Haushalt ein Pulverfass ist und um den Wunsch mit einem Idioten zu schlafen.