Wechseljahre ohne Grenzen: Zwischen Falten, Identität und der Suche nach Erwachsensein

Ich arbeite in einer Branche, in der nicht erwachsen werden angeblich eine Schlüsselqualifikation ist. Würde das wirklich stimmen, müsste ich inzwischen das Branchen-Pendant der Weltherrschaft an mich gerissen haben, so dermaßen schlüsselqualifiziert bin ich.

Vor ungefähr 15 Jahren waren meine Freundinnen und ich deprimiert angesichts der Erkenntnis, dass man Falten bekommen kann, bevor die letzten Reste der Teenie-Pickel verschwunden sind. Jetzt nähere ich mich der Menopause und muss trotz meines fortgeschrittenen Alters immer noch fast jeden Tag mit erbärmlichen Identitätsfindungsproblemen kämpfen. 10% meiner Haare sind grau, ein 20-Gramm-Keks addiert 500 Gramm zu meinem Körpergewicht, ich bräuchte eigentlich eine Gleitsichtbrille (drücke mich aber, indem ich zu kleine Schrift abfotografiere und vergrößere) und mein Arzt sorgt sich um meine Knochendichte, aber ich frage mich immer noch: Wie will ich leben? Und mit wem? Was will ich werden, wenn ich mal groß bin? Bin ich ok genug oder nicht? Finden die Erwachsenen mich wirklich so doof, wie ich mich fühle? Ich weiß es beim besten Willen nicht und werde es vielleicht auch nie wissen.

Vor ein paar Wochen dachte ich auf der Straße kurz, ich würde von Weitem meinen Deutschlehrer sehen, und bin hart zusammengezuckt, weil… keine Ahnung wieso, Leute wie ich zucken lebenslänglich zusammen, wenn sie einen Lehrer außerhalb der Schule sehen. Der Schule, die inzwischen fast 30 Jahre und über 600 Kilometer entfernt liegt.

Es gibt Mütter in der Kita meiner Kinder, vor denen habe ich Angst, weil ihre Haare immer so gut aussehen. Gäbe es eine Gerechtigkeit, müsste ich spindeldürr sein, denn ich verbrauche täglich mindestens 800 Kalorien allein damit, mich zu schämen. Und nichts, was ich in der Realität schaffe, ändert etwas an diesem Gefühl – man kann sich als Vollwurst fühlen, ohne eine zu sein, und ich bin der Beweis. Als mein drittes Baby zur Welt kommen sollte, habe ich mir nachts um zwei ein Taxi ins Krankenhaus genommen, dem Taxifahrer zehn Minuten lang zugeredet, dass seinen Polstern nichts passiert und er mich nicht rauszuschmeißen soll, bin in den Kreißsaal gegangen und habe meine Tochter geboren, ohne dass jemand mein Händchen halten musste, so erwachsen bin ich nämlich. Ich hab einen gut bezahlten Job und kümmere mich um meine Zähne. Ich lese feministische Bücher und fühle mich dabei als Teil der Schwesternschaft. Trotzdem schreit es nach fast jeder Unterhaltung mit meiner Mutter in mir: Aber ich bin 47! Soll das so? Hört das irgendwann auf?

Das Bild der Barbiepuppe von hinten, während sie auf dem Tisch liegt.

Muss ich wirklich mit 47 noch die letzten Stunden vor ihrer Ankunft damit verbringen, schnell die Bude besuchsfein zu machen, mich noch mal umzuziehen und die Playlist zu wechseln? Kann ich ihre Kritik an meinen Erziehungsmethoden, meiner Frisur und meinem Lebensentwurf nicht einfach lächelnd durchrauschen und an mir abperlen lassen? Nein, kann ich nicht. Kurz vor ihrem letzten Besuch hatte ich mir ein paar hauchdünne Maxiröcke angeschafft und schwebte vier Tage lang bei 30° angenehm luftig und sehr zufrieden mit meinen gleichzeitig praktischen, geschmackvollen und um 60% runtergesetzten Käufen vor ihr durch die Gegend. Am Tag ihrer Abreise waren alle Röcke dreckig, und ich hatte eine Jeans an. “Ich wollte ja nichts sagen”, sagte sie. “Und ich will dir nicht zu nahe treten” (das todsichere Signal, dass sie genau das gleich tun wird. Und hier kommt es schon:) “Aber in Jeans siehst du doch gleich wesentlich schlanker aus als in Röcken.” Und plötzlich weiß ich genau: mag sein, dass in meinem Ausweis als Geburtsjahr 1973 steht und meine Eierstöcke demnächst in Rente gehen; in Wahrheit bin ich 12, höchstens 14.

Wie kann das sein, dass ich nach gängigen Kriterien jetzt langsam alt werde und trotzdem noch in der Pubertät zu sein scheine? Warum wende ich so viel Herzblut und Energie dafür auf, Körper und Lifestyle möglichst taufrisch zu halten? Statt ein bisschen mehr für mich einzustehen, den Rücken gerade zu machen und mit den Großen zu spielen? Ich gehe mal davon aus, dass es mit 70 zu spät dafür sein wird.

Fotos sind von @jeanzdk , gefunden auf Unsplash und von @moppity ebenfalls auf Unsplash gefunden