Zu Louann Brizendines neuem Buch über das weibliche Gehirn in den Wechseljahren. Eine Buchbesprechung von Swantje-Britt Koerner

Ich bin nie ein wirklicher Freund von meinem 21-tägigen Zyklus gewesen, der sich mit Schmerzen vor und während der Blutung verband. Ständig war in meinem Körper was los, geriet etwas außer Balance. Mitte dreißig kam zum inneren Beat noch ein Burn-Out mit autoimmunen Prozessen dazu, die per Gen-Marker in mir angelegt wurden. Als ich ein Jahr nach der letzten Blutung mit Erstaunen feststellen durfte, dass ich anders zu ticken begann – nüchterner, klarer, zielorientierter -, war ich beglückt. Es hatte sich etwas beruhigt. Nicht, dass ich unsensibler geworden war, aber ich juchzte nicht mehr so oft ein „Ja“ in den Raum, regte mich weniger auf und ging das, was anstand, konzentrierter an. Ich ließ Alkohol, Fleisch, Zucker, ein Jahr sogar Brot, Pasta, Kartoffeln weg und aß nicht viel mehr als Grünes und Fisch. Ich hatte ein neues Leben, eine innere Klugheit bekommen, was sich besser anfühlte als zuvor. Bis meine Stimmung sank, Hitze kam und die Gelenke so sehr zu schmerzen begannen, dass ich bereit war, „bioidentisch“ zu werden, auf Hormone zu gehen. Seitdem fühle ich mich mehr oder weniger so, als wäre ich im früheren Leben zurück, in der kognitiven und emotionalen Blase 1.0 – was unheimlich ist. Ich bin wieder aus der Balance und kurz davor, die gesamte Ersatztherapie in den Abfall zu donnern.

Louann Brizendine (LB) beschreibt und erklärt in „The Upgrade“ (deutscher Titel: Gehirn-Power Wechseljahre*, Mosaik Verlag, München 2023), ihrem neuen, über 400 Seiten starken Buch detailliert, was kognitiv und emotional mit uns geschieht, wenn das Blut zu fließen aufhört. Die Menopause benennt sie um, sagt „Upgrade“ zu ihr, um die „begrifflichen Fossilien, die von Männern in Pharmaunternehmen geprägt wurden“, fallen zu lassen. Ein neues Wort für eine neue, bessere Zeit der Frauengesundheit. Prä- und Perimenopause nennt sie „Prä-“, „frühe“, „mittlere“ und „späte Transition“ und eine Hormonersatztherapie (HET) ist für sie eine „Hormontherapie“ (HT), also kein niederranging zu bewertender Ersatz, sondern bewusste Ergänzung. 

LB ruft ihre Leser:innen geradezu dazu auf, sich ab der Transition endlich gut um sich selber zu kümmern. Es brachte mich auf eine Idee. Statt den vielen Fallbeispielen und Patientengeschichten nachzugehen, die amerikanische Autor:innen nun mal gerne anführen, will ich Erkenntnisse und Handreichungen des Buchs am Beispiel unserer deutschen Alt-Kanzlerin durchspielen. 

Für alle die, die sich Angela Merkel (M) nicht vorstellen können: Setzen Sie Ihre Mutter oder Großmutter ein, sofern diese für sie jenseits der 60 sichtbar, munter, gesund und tatkräftig ist. Oder trauen Sie sich, sich selbst einzusetzen, so, wie Sie sich im fortschreitenden Alter vorstellen mögen.
M griff nach der Macht, als ihre reproduktive Fruchtbarkeit in immer deutlicherem Ausmaß erlosch. Gemeint ist die Art von Fruchtbarkeit, die eine erschlagende Mehrheit von Frauen und Männern noch immer als die einzig wahre „Daseinsberechtigung“ der Frau ansehen will. 

M war 51 Jahre und die 50er sind das Jahrzehnt, um das es in LBs neuem Buch vornehmlich geht und das sie als, fast muss man sagen, überlebenswichtig bewertet. 

M griff nach der Macht statt der tradierten Frauenrolle gemäß in die dritte oder vierte Reihe zu treten, was LB als „Downgrade“ bezeichnet. 

Warum stürzte M nicht aus dem Himmel der hormonell aktiven Zeit in die hormonlose Hölle, ins Nichts? 

M war schlau. Ende der 90er, Mitte 40, liegt sie nachts öfter nassgeschwitzt wach. Ihr Blut kommt nicht mehr der Regel entsprechend und häufig ist sie gereizt. Sie fürchtet um ihre Denk- und Handlungsfähigkeit und gerät in eine ganz persönliche Klimakrise.
Was machen Wissenschaftler, wenn sie nach Antworten, Lösungen, suchen? Sie forschen, fragen andere Wissenschaftler. M kommt auf LB, eine amerikanische Neuropsychiaterin, nur zwei Jahre älter als sie, und in meinem gedanklichen Spiel ihrer Zeit weit voraus. 

LB hat ein paar Jahre zuvor ihre eigene Klinik für Stimmungen und Hormone ins Leben gerufen, die „Women’s Mood and Hormone Clinic“ an der University of California, San Francisco. Sie arbeitet dort als Direktorin und schreibt nebenbei an ihrem ersten Buch Das weibliche Gehirn*. Warum Frauen anders sind als Männer. Das Buch wird 2007 in Deutschland erscheinen und ein Spiegel-Bestseller werden.

M schildert LB, wie sie sich fühlt. Fragt, warum das so sei. Will wissen, wie es besser werden könnte. Und LB erzählt. Erzählt, Ms Gehirn, das seit mehr als dreißig Jahren im Takt der Eierstöcke tanze, vernetze sich neu, eine neue Form von Wahrnehmung mit neuen Bedürfnissen entstünde. LB erklärt die Hormone – die ovariellen, die von der Gynäkologie abgedeckt werden. Die der Nebennieren. Die Chemikalien aus Gehirn und Nervensystem, die im ganzen Körper Verwendung finden. Dann die Zellarten im Gehirn, von denen einige Nährstoffe liefern und andere in der Nacht Abfallprodukte vom Tag wie gute Gärtner zurechtstutzen müssen. 

Sie erläutert „Konzepte“ wie das der „sterilen“ Entzündung (ohne Infektion), die auf Stressfaktoren wie Umweltbedingungen (UV -Strahlung), Schlafmangel oder verminderte Durchblutung zurückzuführen ist und mailt M ein Schema des weiblichen Gehirns, an dem sie die Aufgaben von Insula, Hypothalamus, Hypophyse, Kleinhirn etc. erklärt. 

„Was wollen Sie in Ihrem Leben noch alles sein?“, fragt sie dann M und M, zu jener Zeit CDU-Generalsekretärin, antwortet: „Ehrlich … so unter uns … ich will Kanzlerin werden.“

Daraufhin holt LB aus: „Folgendes wird geschehen. Habe ich so bei meiner Mutter erlebt. Das Ich-Zelt baut sich in und nach dem Upgrade neu auf und verändert unseren Diskurs. Der Impuls aufzubegehren, kommt mit einer Wucht, als führen wir zum ersten Mal einen Maserati. Wir werden direkt, rütteln am Status Quo, regeln unsere Beziehungen neu. Mit einmal neigen wir dazu, uns gezielt nur einer Aufgabe zu widmen. Wir werden gründlicher, lassen uns stärker auf etwas ein, konzentrieren uns besser. Holt uns jemand aus unserem Flow, lehnen wir die Unterbrechung ohne Schuldgefühl ab. Nein wird nun ein Satz, denn der angstprovozierende Stress des Multitaskings fällt weg.“
„Interessant“, findet M. 

„Fruchtbarkeitshormone“, führt LB fort, „gieren immer nach der Zustimmung von außen, das heißt: Ohne sie verhalten wir uns mehr wie wir selbst. Eine neue Unerschrockenheit macht sich breit. Nach dem Hormonsturm der Transition stabilisieren sich die Schaltkreise im Hirn und machen den Weg zu festeren Überzeugungen frei. Das Drängen, die Besessenheiten und Wahnvorstellungen, die unsere Fruchtbarkeitshormone rund um Beziehungen und Intimität erzeugt haben, lassen nach, Geist und Psyche bekommen mehr Raum für Kontemplation, aber auch das Zweckdenken kommt nun zum Zug. Die neue Balance braucht etwas Zeit, aber es liegt eine befreiende Chance in dieser Wandlungsphase des Seins. In ein paar Jahren könnten Sie also gut am obersten Schalthebel sitzen!“

„Prima“, bemerkt M, „aber Hitze und schlechter Schlaf sind ja weiterhin da. Kann mir da eine Hormonersatztherapie helfen?“

„Hormontherapie“, korrigiert LB. „Tja … Hormone wären das Gebot der Stunde. Leider sind wir noch nicht soweit, diese so herzustellen, dass sie unseren körpereigenen entsprechen und individuell dosiert werden können. Ich selbst bekomme nicht das, was ich will. Dabei sitze ich an der Quelle.“
„Braucht denn jede Frau welche?“
„Nein, aber ich vermute heute schon, dass sie relativ sicher sein werden und bei geringem Risiko eine schützende Wirkung auf Gehirn, Herz, Vagina und Knochen entfalten, also beispielsweise Demenz, sprich bei uns Frauen, Alzheimer vorbeugen. Demnächst wird es eine Studie der Women’s Health Initiative geben, die meines Erachtens fehlerhaft ist und die Frauengesundheit um Jahre zurückwerfen wird. Eine Schande, wie die weibliche Lebensqualität immer wieder vom Tisch gewischt wird.“ 

„Das heißt, ich kann fast nichts tun“, bemerkt M und zieht die Mundwinkel tief.
„Doch. Eine Menge. Selbstfürsorge ist angesagt, gerade aus neurowissenschaftlicher Sicht. Im Idealfall meiden Sie Koffein. Zudem sollten Sie ein Normalgewicht halten. Rauchen Sie nicht und trinken Sie wenig. Alkohol lässt uns schneller einschlafen, reißt uns aber häufig mitten in der Nacht wieder aus unserem Schlaf. Studien zufolge brauchen Frauen ab 60 zwischen sieben und neun Stunden Schlaf, damit sich das Upgrade entfalten kann. Weniger als sechs Stunden fördern „sterile“ Entzündungen. Fangen Sie damit an, sich vor 15 Uhr zu bewegen, das macht angenehm müde. Nach 15 Uhr ist der Cortisolspiegel beim Einschlafen zu hoch. Essen Sie bis 18 Uhr. Nehmen Sie magere Proteine und stärkearmes Gemüse sowie Lebensmittel mit L-Tryptophan auf die Liste, das ist die natürliche Schlafaminosäure. Steckt in Puten- und Hühnerfleisch drin, körnigem Frischkäse, Fisch, Kürbiskernen und so weiter. Verbringen Sie an einem sonnigen Tag wenigstens zehn Minuten im Freien oder verwenden Sie eine Tageslichtleuchte. Gehen Sie abends pünktlich ins Bett in einen ruhigen, dunklen Raum mit 18 bis 20 Grad. Oder setzen Sie eine Schlafbrille auf und stecken sich Stöpsel in die Ohren. Und bitte … vermeiden Sie Stress!

Harmonisieren Sie Ihr Nervensystem, indem Sie meditieren und sich echte Freundschaften schaffen. Verbundenheit ist wie ein Supertreibstoff für das Erfahren von Glück und gut für die Kognition und wahrscheinlich sogar eine Möglichkeit, Diabetes vorzubeugen.“

LB und M reden stundenlang. Den Tag danach fährt M in die Charité für sechs Röhrchen Blut und diverse Tests und nimmt von Stund an Magnesium, Vitamin D, Omega-3 und andere Mittel. Sie stellt sich zu Hause ein Trimmfahrrad hin und erlernt die Art von Meditation, die LB selbst praktiziert und zu der sie in ihrem späteren Buch „The Upgrade“ eine Anleitung geben wird. 

Natürlich wissen wir, dass das meiste von dem, was LB M ans Herz gelegt hat, nicht klappt. Wie auch, wenn man einen der stressigsten Berufe der Welt anstreben muss, der vom patriarchalen System erdacht und vorgelebt wurde.

2009, mit 55 Jahren, ist M mit dem Bluten durch. Sie hat Körperfett und das federt den möglichen Stimmungsrutsch ab, denn in Pölsterchen bildet sich Östrogen. Der Kleiderschrank ist nach Ms Vorliebe für bunte Blazer geordnet, nicht nach der Mode vom Tag. Sie hat Menschen, vor allem Frauen um sich geschart, denen sie nahezu blind vertraut; „Girls-Camp“ wird dieser Kreis ihrer engsten Vertrauten genannt. 

Da steht sie in ihrem authentischen Ich und fühlt sich gar nicht mal schlecht. Stress macht ihr nicht so viel aus. Von Natur aus. Ein Glück. Und das Nicht-Schlafen-Können zahlt sich kurioserweise aus, wenn die Verhandlungen bis in die Nacht, bis zu zwölf Stunden gehen. Manchmal jedoch denkt sie zurück an das Telefonat vor zehn Jahren. Glaubt dann, dass sie sich noch besser fühlen könnte, wenn diese Studie nicht erschienen wäre und man ihr einfach so Hormone aufschreiben würde. 


„The Upgrade“ erklärt uns mit dem Grundton eines sich selbst reflektierenden Feminismus genau, was im Gehirn, Darm und Nervensystem passiert. Ermächtigt uns, Zusammenhänge zu verstehen, mit denen wir besser für uns selbst eintreten können. Dank „The Upgrade“ wurde mir erneut bewusst, dass Beschwerden im Klimakterium von der Schulmedizin als gynäkologische Beschwerden gesehen oder gar als solche abgetan werden. Noch verschreibt einem der Hausarzt keine HT, auch wenn die Stimmung im Keller ist, was sich auf die Kognition, nicht nur die, auswirken kann.

Dank „The Upgrade“ wurde mir außerdem klar, dass man willens sein muss, nach seiner eigenen Zukunft zu greifen, seinem Leben 2.0. Für die Gesundheit und, um möglichst lange noch das zu tun, was uns gerade jetzt erst einfallen möchte. Je wissender, liebevoller, wir unsere Aktualisierung angehen, umso mehr wird es sich für die kommenden Jahrzehnte lohnen. Und Ja! – wir können weiterhin und immer noch etwas von Wert in unsere Zeit einbringen, jetzt erst recht. 

 

Im Wissen um das, was im „Upgrade“ geschieht, wäre es eigentlich nicht klug, wenn ich meine vor kurzem aufgenommene HT, die mich in die Blase 1.0 zurückgeworfen hat, hinschmeißen würde. Und sicherlich sollte ich zu jemandem gehen, die oder der Hormone und Nährstoffe kann. Denn meine Gynäkologin mag keine Laborwerte nehmen. 

 

Nachtrag: Viele Frauen in „The Upgrade“ identifizieren sich als BIPOC (Black, Indigen und People of Color). Sie alle betrachteten sich als cisgender, das heißt, sie können sich in der weiblichen Identität, die ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, wiederfinden. Da bei trans Männer und Frauen noch so viel untererforscht ist, geht die Autorin derzeit nicht ausführlich auf diese ein. Das Gesundheitssystem, schreibt sie, sei von strukturellem Rassismus geprägt.