…es ist Frühling und momentan schießen in allen Medien Artikel zum „Abnehmmedikament“ Ozempic mit dem Wirkstoff Semaglutid aus dem Boden.

Freundliche und weniger freundliche Artikel, strenge und vorwufsvolle, angstschürende und verurteilende bishin zu verachtenden Artikeln.

Und weil nichts auf der Welt nur eine Seite hat, möchte ich mal von einer Seite erzählen, die vermutlich ein Großteil der schlanken Frauen (und Männer) gar nicht kennt. Hier kommt meine Geschichte.

Ich bin Nane, 49 Jahre alt, Mutter von 2 erwachsenen Kindern, Ehefrau und in Vollzeit berufstätig. Und ich bin übergewichtig. Und das sehr!!

Meine Kindheit in den 70ern war wie die von vielen anderen. Nicht so behütet wie die Kindheit meiner Kinder. Vielleicht ein bisschen gleichgültig, obwohl ich ein Wunschkind war. Wichtig war meinen Eltern eher nicht, wie es meiner Kinderseele ging. Dafür war es ihnen umso wichtiger, dass ich nicht moppelig wurde. Das war ich damals auch nicht. Dafür sorgte die Kontrolle meiner Mutter. Keine Süßigkeiten, keine gesüssten Getränke, eine Portion Mittagessen, kein Nachschlag und kein Nachtisch. Harzer Käse und Aspikwurst, weil beides besonders fettarm ist. Das war normal. 

Irgendwie begann es dann schon recht früh, dass ich mein Taschengeld schlicht in Tiefkühl­pizza investierte, diese heimlich in der Mikrowelle warm machte und schnell in meinem Zimmer aß. Vermutlich war das so langsam die Entstehung eines ungesunden Ernährungs-Kreislaufes. 

Mit 17 zog ich zuhause aus und machte alles das, was ich zuhause nie durfte. Und Essen spielte eine große Rolle. Eine neue, leckere Welt tat sich auf. Ich heiratete mit 20 und kochte sehr gerne. Und zwar nur Gerichte, die schmeckten. Und davon so viel, wie ich wollte. Ich nahm zu. Immer mehr. Mein Mann gemeinerweise nicht. Er blieb schlank und liebte mich einfach so, wie ich war. Das Gefühl zu ihm, an das ich mich hierbei heute noch erinnere, ist bedingungsloses Glück. 

Noch perfekter sollte unser Leben werden, wenn sich unser Kinderwunsch erfüllen würde. Das wollte er aber nicht. Ein Grund, so sagten die Ärzte, könnte mein großes Übergewicht sein. Na dann…nehme ich eben ab. 

Ich nahm ab, bekam 2 wunderbare Kinder, nahm wieder zu, wieder ab und wieder zu… Ich denke, diese Diätspirale kennen viele von euch. 30 Kilo runter, 45 wieder rauf. 50 kilo runter und 70 wieder rauf. Und so geht das in meinem Leben seit nun etwa 30 Jahren.  Es ging mir allerdings mit dem Übergewicht nie schlecht. Ich mochte mich so, wie ich war. Schlanker war ich beweglicher, aber ich mochte mich auch in der dicken Ausführung.

Mit den beginnenden Wechseljahren kamen dann leider auch ein paar blöde Zipperlein. Gelenkschmerzen, Rückenschmerzen, Knieprobleme. Die Ursache war offensichtlich das Übergewicht. Also wäre es schon gut, wenn das verschwinden könnte. Leider wurde es in dieser Wechseljahreszeit eher mehr, obwohl ich besser aß. Es ist dabei offenbar leider nicht so einfach, sich eben nur zu disziplinieren und gesund zu essen und viel Sport zu treiben. Da spielen viel, viel mehr Faktoren eine Rolle. Das ist mir schon lange klar. Aber wie kann ich mich selbst aus diesem Teufelskreis befreien?

Es ist ein bisschen so, wie ich es mir beim Alkoholismus vorstelle, ohne selbst jemals mit ihm in Berührung gekommen zu sein. Du musst erstmal ganz tief fallen und am Boden sein, um mit dem letzten Funken Energie dein Leben entweder zu beenden oder dir Hilfe zu suchen. Nur leider kann ich nicht einfach alles Essbare aus der Küche verbannen, so wie ich vielleicht Alkohol verbannt hätte. Essen muss ich trotzdem und immer. Die Sucht quasi immer vor Augen.

Ich kam schließlich an einen Punkt, an dem meine Seele einfach nicht mehr funktionierte. Aus ganz vielen verschiedenen Gründen. Das war mehr als beängstigend.

Mit viel Glück lernte ich meine Psychotherapeutin kennen und begann eine Psychotherapie, die noch lange nicht zu Ende ist. Ich erlangte ganz langsam und in kleinen Schritten etwas Kraft zurück, die ich dann in mich und meine Gesundheit investierte. Das bedeutet, ich ließ mich mal durchchecken – etwas, dass man mit Übergewicht wirklich nicht gerne macht und was (mir) sehr viel Mut abverlangt hat. Denn irgendwie ist an allem das Übergewicht Schuld. Also Augen zu, Kraft gebündelt und durch. Eine Odysee von Hausarzt, Gynäkologin, Kardiologe und Orthopäde begann und war letztendlich gar nicht schlimm. Ein bisschen hatte ich damit gerechnet, dass mir einer der Ärzte sagen würde, dass ich einfach zu fett zum Leben sei und nun sterben müsste…genau das Gegenteil war der Fall. 

Und wie ein Geschenk des Himmels klingelte eines Tages mein Telefon und meine Kardiologin fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, an einer klinischen Studie für den Wirkstoff Semaglutid bei Adipositas teilzunehmen. 

Nane - Frau mit kurzem Mecki Haarschnitt und modischer schwarzer Brille
Nane

Meine Sorgen waren natürlich die möglichen Nebenwirkungen. Sie verwies mich an eine Diabetologin, die diese Studie durchführt und mit der ich zunächst lange telefonierte und mich zu allen möglichen Horrorvorstellungen in meinem Kopf informierte und mich dann, nachdem mir meine ersten Sorgen genommen wurden, in der Praxis traf.

Um Semaglutid nämlich überhaupt an adipöse Menschen verabreichen zu dürfen, muss zu allererst eine Doppel-Blind-Studie, die etwa 1 1/2 Jahre dauert, durchgeführt werden. Doppel-Blind-Studie bedeutet, dass 1 von 6 Studienteilnehmern einen Placebo erhält, aber niemand weiß, wer das ist.

Das Medikament ist auch bereits für Diabetiker erhältlich, jedoch in geringerer Dosierung. Der Vorteil in meinem Fall ist, dass dadurch die meisten Nebenwirkungen schon bekannt sind. Und diese sind hauptsächlich sowas wie Übelkeit, Durchfall, Erbrechen und ein unangenehmes Völlegefühl. Das kann ich aushalten.

Ich habe nochmal einige Check-Ups über mich ergehen lassen, um festzustellen, ob ich für diese Studie überhaupt geeignet bin. Bin ich. Schon das hat mich beflügelt. Es steht offenbar nicht ganz so schlecht um mich. Ich bin einfach nur sehr dick.

Wieder hab ich den gerade gewonnen Schwung genutzt und mich bei Susanne von nobodytoldme für den Body-Reset-Kurs angemeldet. Denn was nützt es mir, wenn ich durch ein Medikament möglicherweise Gewicht verliere und am Ende wieder alles falsch mache und sich die Gewichtsspirale noch mehr hochschraubt?

Also: ich habe den Body-Reset-Kurs im Februar durchgeführt und unglaublich viel gelernt. Zwar hier noch kein Gewicht verloren, aber wieder Energie für Neues gewonnen. Ich hoffe, ich schaffe es, das alles auch gut umzusetzen und langfristig  in meine Ernährung einzu­bauen. Die habe ich nämlich auch umgestellt – in fettarm. Dadurch ist allerdings viel Mager­quark auf meinem Speiseplan gelandet, den ich mir auch nicht wegdenken kann und für den es einfach meiner Meinung nach keine pflanzliche Alternative gibt, die auch noch schmeckt. 

Und parallel habe ich im Februar die Semaglutid-Studie von Novo Nordisk begonnen. Das bedeutet, ich spritze mir nun wöchentlich den langsam in der Dosierung ansteigenden Wirkstoff in eine Bauchrolle. Tut nicht weh, kostet mich aber so viel Überwindung, dass diese Aufgabe mein Mann übernehmen muss. Und das macht er hervorragend. Ich werde durch die Diabetologin anfangs im 2-Wochen-Rhythmus und dann im 4-Wochen-Rhythmus untersucht und habe das Gefühl, richtig gut umsorgt zu sein. Mein Blut wird nahezu jedes­ Mal abgenommen und untersucht, ich führe ein Studien-Tagebuch und tausche mich mit einer Diätassistentin aus. Von meinen anfänglichen Sorgen sind keine mehr vorhanden. Aber wenn ich merken würde, dass mir Semaglutid nicht gut tut, würde ich es sofort absetzen und die Studie beenden. Keine Frage.

Ich habe sehr schnell gemerkt, dass ich kein Placebo erhalte. Dieses Völlegefühl, ohne wirklich viel gegessen zu haben, ist merkwürdig und nicht gerade angenehm. Aber auch nicht schlimm, wenn man bedenkt, wofür man es macht. Und die Kilos purzeln und der Körper­umfang verringert sich, obwohl seit Februar noch gar nicht viel Zeit ins Land gegangen ist. Das ist faszinierend. Und es gibt mir so viel mehr, als nur ein gesünderes Körpergewicht. Es gibt Hoffnung und Elan für Neues. So habe ich mir das erste Paar Turnschuhe zum strammen Spazierengehen seit 30 Jahren bestellt. Und habe Spaß an gesunder Ernährung. Und das alles wiederum tut nicht nur den Gelenken gut, sondern auch der Seele.

Es liegt noch eine lange, spannende Zeit vor mir. Ich wünsche mir so sehr, dass ich am Ende der Studie nicht einfach alles wieder zunehme. Aber Dank Susanne und dem Body Reset Kurs, meinen neuen Turnschuhen und meiner unglaublichen Psychotherapeutin könnte das vielleicht sogar klappen…

Wenn ihr schlank durchs Leben hüpft: freut euch und denkt immer daran, dass niemand einfach nur dick ist. Alles hat irgendwo eine Ursache, die sich manchmal gar nicht so einfach aufbrechen lässt.

EIN HINWEIS VON DR. CHRISTINA ENZMANN

Dr. Christina Enzmann sagte mir (Susanne) kürzlich in einem Gespräch, dass sie die Einnahme von Semaglutid nicht empfiehlt, weil es zu erhöhter Produktion von Insulin führt. Erhöhte Insulinwerte können zu hormonellen Imbalancen und zu erhöhten Entzündungsmarkern führen. Auch die ÄrzteZeitung hat hier über die Folgen einer Hyperinsulinämie geschrieben. Es sollte also mit entsprechender Achtsamkeit abgewogen werden zwischen den Chancen, die hier ja bei Nane absolut anzuerkennen sind, und den Risiken – gerade denen, die nicht immer direkt spürbar oder sichtbar sind.