"Fleisch, Zucker und Weißmehl gehen jetzt nicht mehr durch meinen Kopf, Fragen dafür schon. Manche sind eher Klein-Klein-Pragma-Kram, andere dagegen werden mich sicher noch eine Weile beschäftigen. Hier sind sie in der Reihenfolge, in der sie mir einfallen:"

1. Was ist mit Dattelsüße, jetzt wo Zucker eigentlich vom Tisch ist? Darf sie immer noch an den morgendlichen Schokopudding?

2. Habe ich auch im Meeting vergessen zu fragen, aber: grüne Bohnen – gut oder eher nicht? Für sie spricht, dass ich sie sehr mag, vor allem in Kombination mit unserem neuen Lieblingslebensmittel Zitrone, und dass sie in jedem noch so kleinen Supermarkt auch tiefgekühlt zu haben sind. Außerdem spielen sie so schön zusammen mit Kichererbsen und Fisch (vor allem Anchovies) und enthalten im Inneren doch so etwas wie Mini-Edamame, und außen sind sie dunkelgrün, und dunkelgrün mögen wir doch – jetzt kommt schon, bitte sagt, dass ich die weiter essen darf bis zum letzten Tag!

3. Wenn es so weit ist, Koffein komplett zu streichen – werde ich mich zusammenreißen und das verdammt noch mal einfach machen?

4. Werde ich jemals auf Dinge verzichten lernen, auf die ich eigentlich nicht verzichten will, ohne so eine Susie (sorry, Sue, Du bist sowas von KEINE Susie) zu sein und jedem in meiner Umgebung etwas vorzuquengeln?

5. Ich habe es bisher irgendwie geschafft, das blöde Thema Kinderessen-Erwachsenenessen zu umschiffen. Meine Kinder glauben nicht, dass Fisch, Fenchel, Muscheln und solche Dinge grundsätzlich erst für Erwachsene gedacht sind, während ihr Essen die Form von lustigen Gespenstern oder Lachgesichtern haben muss. (Sie essen trotzdem eine Menge nicht, glaubt mir – an meinem Tisch sitzen das einzige Kind, das keine Pfannkuchen isst, obwohl ich gute Pfannkuchen mache, das einzige Kind, das keine Pommes mag, und das einzige Kind, das keine Pizza isst.) Und jetzt leben sie plötzlich in einem Haushalt, in dem Mama ihnen die Pasta hinstellt und sich dann mit einem Glas Zitronenwasser oder einem Teller Kichererbsen-Sardinen-Salat dazu setzt. Und dann sagt Papa auch noch “Mama darf das gerade nicht essen” und “Das ist so eine Art Diät”. Große Augen. Entsteht hinter diesen großen Augen gerade doch noch hinterrücks die grässliche Idee, dass solche Dinge wie Pasta erst “erlaubt” sein müssen? Von wem? Wie viel? Sind wir böse, wenn wir das essen? Ogottogott. Schnell weiter zur nächsten Frage. 

6. Immer auf der Hut vor dem kleinsten Anzeichen von Essstörung bei mir selbst, frage ich mich: geht das wieder weg, wenn die drei Wochen vorbei sind? Ich sehe auf Insta bei food52 ein Foto von einem Brett, beladen mit Dips, Gemüse, Käse und köstlichem Schinken und denke reflexhaft “ach nee. Schinken, nee. Geht ja nicht, ist ja Schinken, nicht erlaubt.” Brrrrrr. Geht dieses spontane Einteilen nicht mehr in “will ich esse” und “will ich nicht essen”, sondern in gut und böse, irgendwann wieder weg? Werde ich überhaupt wollen, dass es wieder weggeht? Was ist, wenn nicht? 

7. Im Moment formt sich in meinem Kopf der noch diffuse Plan, das jetzt – vorausgesetzt, ich schaffe es gut bis zum Ende, aber ich bin optimistisch – zweimal im Jahr zu machen, und zwar als eine Art Kur. Danach aber immer wieder freudig zu meinem alten, geliebten Speiseplan zurückzukehren. Ist das eine gute Idee? Oder nimmt der Körper mir das erst recht übel? Warten all die gerade erst befriedeten Entzündungsprozesse in mir nur darauf, dass sie wieder Zucker und Milch kriegen, und dann geht’s richtig los? Gibt es so etwas wie einen Jojo-Effekt auch für andere ernährungsbedingte Baustellen als den Fettstoffwechsel? 

8. Viele Lebensmittel, die jetzt gut sind, gibt’s im Asia-Laden um die Ecke. Ein Problemchen ist allerdings, dass es mit asiatischen Lebensmittel- und Landwirtschafts-Standards oft nicht so weit her ist (mit unseren eigenen leider auch nicht, kein Grund, sich entspannt zurückzulehnen…). Und viel davon ist schwer in Bio-Qualität zu bekommen. Hat jemand einen Tipp außer Koro (die bei asiatischem Kram etwas schwach auf der Brust sind…) – ich denke z.B. an Shirataki-Nudeln, Kimchi, Togarashi, überhaupt alle asiatischen Gewürze – toll wäre ein einzelner Shop, der all sowas hat, damit ich nicht den Weg gehen muss, über Amazon acht Bestellungen aufzugeben, woraufhin meine zwei Kilo Lebensmittel in Paketen hier ankommen, die zusammen das Volumen einer Telefonzelle haben. 

9. Davon erzählen oder lieber für mich behalten? Kaum lasse ich mich auf so ein Abenteuer ein, bombardiert mich das Leben mit Besuchswünschen, Einladungen und mitgebrachten Geburtstagskuchen. Erfahrungen mit sehr früher Schwangerschaft und Alkohol haben mir beigebracht, dass die meisten Leute eh nicht drauf achten, wer was und wie viel isst oder nicht – einfach einen Teller nehmen und stehen lassen. Andererseits ist das auch doof, fühlt sich ein bisschen feige an, als würde ich hier etwas Peinliches tun – und ich rede so furchtbar gerne über Essen, auch wenn es in diesem Fall Nicht-Essen ist. Aber wenn ich das tue, stehe ich in meinem Umfeld (das berufsbedingt hauptsächlich aus 28jährigen Nerds, liebenswerten Partytierchen und Sportskanonen besteht) als Spaßbremse da. Klar ist das meinem Alter unangemessen, mir um solchen Quatsch dazu noch so wirre Gedanken zu machen, aber ich mache sie mir nun mal, also wohin damit? Und ist es eine gute Idee, mit meiner Mutter darüber zu sprechen? (Könnt Ihr nichts zu sagen, Ihr kennt sie nicht, aber ich frage mich das jedes Mal, wenn ich sie am Telefon habe.)

10. Wann ist das eigentlich passiert, dass wir Diäten grundsätzlich nicht mehr machen, um abzunehmen, sondern für “mehr Energie”? Ich meine gar nicht dieses Programm speziell, es fällt mir nur gerade so auf und erscheint zumindest in meiner Blase als ein echtes Phänomen.

11. Der Gedanke “Essen als Medizin” bricht sich bei mir gerade leider auf die Weise Bahn, dass ich nicht mehr aufhören kann zu essen. Beim kleinsten Hüngerchen mache ich mir eine Dose Fisch auf, ist ja gut für mich. Die drei-vier Stunden Abstand zwischen den Mahlzeiten schaffe ich also auf keinen Fall, ich bin gerade durchgängig am Essen – klar nur die guten Sachen, aber trotzdem immer immer immer. Vermutlich auch darum, weil ich aus logistischen Gründen zusehen muss, für die nächsten Mahlzeiten vorzusorgen, und darum immer etwas zu Essen in Griffweite habe. Geht das wieder weg? 

12. Hat jemand eine gute Quelle für Avocados im Raum Hoheluft/Eppendorf/Eimsbüttel? Ich liebe Avocados, immer schon, auch ohne ehrgeizige Ernährungspläne. Aber die Biester werden immer teurer, und von jeder beliebigen Auswahl von Avocados, die ich wo auch immer in meiner unmittelbaren Nachbarschaft kaufe, muss ich hinterher die Hälfte wegschmeißen – nicht weil ich sie vergesse, sondern weil sie vermutlich irgendwer so zerdrückt hat, dass sie im Inneren schon ganz schwarze, faulige Stellen haben. 

13. Mir geht’s nicht schlecht, mir geht’s sogar gut, ich bilde mir ein, meine Rückenschmerzen sind besser geworden. Aber ich vermisse das “richtige Essen” wirklich, nicht mit dem Körper, aber mit der Seele. Die meisten anderen in der Gruppe scheinen das überhaupt nicht zu tun, zumindest habe ich davon nichts mitbekommen bisher. Täuscht das? Oder bin ich damit wirklich allein? Ich denke jetzt in diesem Moment an das schöne goldbraune Schokocroissant, das ich mir vor ein paar Tagen zum Abschied geholt habe, und es ist viel Liebe in meinen Gedanken, so viel kann ich dazu sagen. Ich denke auch liebevoll an die Tupperdose mit Dhal in meinem Kühlschrank, die ich heute mit zur Arbeit nehmen werde, aber es ist doch andere Liebe, eher die “Danke, dass Du so viel für mich tust”-Liebe.