Die kontinuierliche Überwachung des Blutzuckerspiegels – das sogenannte Continuous Glucose Monitoring (CGM) – war ursprünglich für Menschen mit Diabetes konzipiert. Inzwischen entdecken jedoch auch immer mehr stoffwechselgesunde Menschen diese Technologie für sich (1). Angetrieben wird dieser Trend durch Influencer:innen auf Social Media, Lifestyle-Coaches und Bücher. Doch wie sinnvoll ist Blutzucker-Tracking tatsächlich für gesunde Menschen?
Was ist Blutzucker – und warum ist er wichtig?
Blutzucker, medizinisch als Glukose bezeichnet, ist die wichtigste Energiequelle für die Zellen unseres Körpers. Nach dem Verzehr von kohlenhydrathaltigen Lebensmitteln wird Glukose aus dem Verdauungstrakt ins Blut aufgenommen. Der Körper reguliert diesen Prozess mithilfe verschiedener Hormone, allen voran Insulin. Dieses Hormon sorgt dafür, dass Glukose aus dem Blut in die Zellen gelangt.
Andere Faktoren wie körperliche Aktivität, Stress, Schlafqualität oder hormonelle Schwankungen – etwa in der Perimenopause – beeinflussen ebenfalls den Blutzuckerspiegel.
Schwankungen des Blutzuckerspiegels sind grundsätzlich normal und zeigen, dass unser Körper auf Nahrung reagiert. Allerdings sollten wir zwei problematische Muster vermeiden:
Zum einen starke Schwankungen durch rapide Anstiege („Spikes“) mit anschließend schnellen Abfällen („Dips“). Zum anderen über ein gesundes Niveau hinaus erhöhte Blutzuckerwerte (Plateaus), die entstehen, wenn zu viel Glukose im Blut vorhanden ist und unser Körper diese nicht mehr effektiv in die Zellen aufnehmen kann.
Besonders nach dem Verzehr von Kohlenhydraten können diese Muster unmittelbare Symptome wie Müdigkeit oder Heißhunger auslösen. Langfristig erhöhen sie das Risiko für Insulinresistenz und chronische Erkrankungen.
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Was ist Glukose-Tracking?
Beim Glukose-Tracking wird der Blutzuckerspiegel kontinuierlich gemessen, meist über einen Sensor am Oberarm, der die Glukosekonzentration in der Gewebsflüssigkeit erfasst und die Daten in Echtzeit an eine App überträgt. Genutzt werden hierzu Produkte wie der FreeStyle Libre von Abbott oder die Systeme von Dexcom.
Ursprünglich wurden diese Geräte für Personen mit Diabetes entwickelt, mittlerweile interessieren sich aber auch immer mehr gesundheitsbewusste Nutzer:innen ohne konkrete medizinische Diagnose dafür und integrieren sie in ihren Alltag.
Ein typischer Anwendungszeitraum beträgt 14 Tage, in denen Nutzer:innen beobachten, wie ihr Blutzucker auf bestimmte Lebensmittel, Mahlzeitenkombinationen oder Bewegung reagiert. Ziel ist es sehr hohe Blutzuckerplateaus zu vermeiden und eine gesunde Glukosekurve zu erreichen, die nicht durch starke Schwankungen gekennzeichnet ist, in der Hoffnung, damit Entzündungen, Heißhunger, Leistungstiefs und langfristig sogar Krankheiten wie Diabetes vorzubeugen (2)
Was sagen die Studien?
Die wissenschaftliche Evidenz für den Nutzen von CGM bei Gesunden ist bislang schwach. Eine aktuelle Studie der Universität Bath zeigt: Die Messwerte der Sensoren, wie dem FreeStyle Libre 2, stimmen bei gesunden Proband:innen oft nicht mit den tatsächlichen Blutzuckerwerten im Kapillarblut (meist gemessen am Finger) überein (3). Insbesondere bei postprandialen Messungen (Messungen nach dem Essen) wurden durch die Sensoren wiederholt zu hohe Werte festgestellt mit teilweise verzögerten Peaks.
Ein Beispiel aus der Studie: Proband:innen tranken einen handelsüblichen Smoothie. Der CGM-Sensor am Arm zeigte einen Blutzuckerwert von 123 mmol/l x 120 Min., während der klassische Fingerbluttest nur 93 mmol/l ergab. Solche Abweichungen können bei Nutzerinnen und Nutzern den falschen Eindruck erwecken, sie hätten ein gesundheitliches Problem. Die Studienautor:innen warnen deshalb vor möglichen Missverständnissen und unnötiger Verunsicherung (3).
Außerdem zeigten die CGM-Sensoren bei stoffwechselgesunden Proband:innen deutliche Schwankungen – selbst dann, wenn sie die gleichen Mahlzeiten zu sich nahmen (3). So wiesen zwei Proband:innen nach dem Verzehr desselben Lebensmittels teils stark unterschiedliche Blutzuckerwerte auf.
Die Gefahr der Überinterpretation
Blutzuckerschwankungen nach dem Essen sind bei stoffwechselgesunden Menschen völlig normal. Die Fokussierung auf minimale Ausschläge oder einzelne Peaks kann jedoch ein verzerrtes Körperbild und eine übertriebene Kontrolle der Ernährung fördern, insbesondere bei jungen Frauen. Expertinnen warnen vor einer Zunahme von Essstörungen und zwanghaftem Verhalten durch CGM-Tracking ohne medizinische Notwendigkeit (4).
Denn: Der Blutzuckerspiegel reagiert primär auf Kohlenhydrate – Fett und Eiweiß hingegen beeinflussen ihn kaum. Wer seine Ernährung ausschließlich an der Glukosekurve orientiert, läuft Gefahr, sich einseitig, unterkalorisch oder übermäßig fettbetont zu ernähren, mit potenziellen Langzeitfolgen für Herz-Kreislauf, Hormonbalance und Darmgesundheit (2).
Blutzucker & Hormone – was in den Wechseljahren passiert
In der Perimenopause verändert sich grundlegend der Hormonspiegel – vor allem Östrogen und Progesteron. Östrogen hat dabei eine schützende Wirkung auf den Blutzuckerspiegel, da es die Insulinsensitivität fördert. Sinkt der Östrogenspiegel, wie in den Wechseljahren üblich, reagieren die Zellen weniger empfindlich auf Insulin – der Blutzucker bleibt länger erhöht, Insulinresistenz kann entstehen.
Diese hormonellen Veränderungen wirken sich nicht nur auf den Stoffwechsel aus, sondern auch auf typische Symptome der Wechseljahre: Hitzewallungen, Gewichtszunahme, Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen Konzentrationsstörungen und Heißhunger. Auch der Teufelskreis aus schlechtem Schlaf, gesteigertem Appetit und hohem Zuckerkonsum verstärkt diese Effekte.
Wann kann CGM trotzdem sinnvoll sein?
...und warum wir es für Frauen in den Wechseljahren dennoch empfehlen
Trotz aller Diskussionen um CGM-Systeme gibt es Personengruppen, für die ein vorübergehendes CGM-Monitoring trotzdem wertvoll sein kann, wie z.B. für Frauen in den Wechseljahren, die von Hitzewallungen und Gewichtszunahme betroffen sind. Durch die hormonellen Veränderungen verringert sich die Insulinsensitivität der Zellen, was das Risiko für Insulinresistenz und späteren Typ-2-Diabetes erhöht.
In unserem Body Reset-Programm empfehlen wir daher eine zeitlich begrenzte Anwendung von CGM, um:
1. Ein besseres Verständnis deines individuellen Stoffwechsels zu entwickeln
In den Wechseljahren verändert sich der Stoffwechsel grundlegend. Ein kontinuierliches Glukosemonitoring (CGM) bietet dir direktes Biofeedback und hilft dir, besser zu verstehen, wie dein Körper auf verschiedene Lebensmittel reagiert. So erkennst du, welche Nahrungsmittel bei dir starke Blutzuckerschwankungen auslösen und welche für stabile Werte sorgen. Anstatt dich auf allgemeine Ernährungsempfehlungen für den Durchschnitt zu verlassen, entwickelst du so eine individuelle Ernährungsstrategie, die wirklich zu dir passt.
2. Frühzeitig problematische Muster zu erkennen
Mit kontinuierlicher Messung kannst du aktiv früh erkennen, wenn dein Blutzuckerspiegel problematische Muster zeigt. Diese frühe Erkennung gibt dir die Chance, gegenzusteuern, bevor sich ernsthafte Probleme entwickeln.
3. Positive Motivation für Bewegung und Alltagsverhalten zu fördern
Wenn du direkt siehst, wie sich Bewegung positiv auf deinen Blutzuckerspiegel auswirkt, kann das sehr motivierend sein. Die unmittelbare visuelle Rückmeldung macht abstrakte Gesundheitsempfehlungen plötzlich sehr konkret und persönlich relevant.
4. Präventiv statt reaktiv zu handeln
Unser Ziel beim Body Reset ist es, deinen Blutzuckerspiegel in einem gesunden Bereich zu halten – lange bevor der Langzeitzuckerwert (HbA1c) kritisch wird.
Und damit keine Verunsicherung oder Ängste entstehen, haben wir extra eine WhatsApp-Gruppe für an CGM interessierte Frauen erschaffen. Hier steht dir eine erfahrene Ökotrophologin mit Rat und Tat zur Seite und beantwortet all deine Fragen.
Unsere Zielwerte und die 80:20-Regel
Wir orientieren uns an den Empfehlungen der Schulmedizin:
- Nüchtern: 60-100 mg/dl
- 2 Stunden nach einer Hauptmahlzeit: 120-140 mg/dl
Die Funktionelle Medizin dagegen orientiert sich an etwas strikteren Werten und keine Sorge auch wir finden die Werte schwer zu erreichen bzw. einzuhalten.
- Nüchtern-Blutzucker: unter 90 mg/dl, besser noch unter 85 mg/dl
- Nach dem Essen: nicht über 110 mg/dl
Wichtig ist uns dabei: Wir wollen dir keinen Stress bereiten. Auch hier gilt die 80:20-Regel. Es geht nicht um Perfektion, sondern um Bewusstsein und darum, im Großen und Ganzen die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Was du selbst tun kannst – ohne Sensor
Auch ohne CGM lässt sich viel für stabile Blutzuckerwerte tun:
- Ballaststoffe zuerst essen: Starte Mahlzeiten mit Salat, Gemüse oder Nüssen, so kannst du die Glukoseaufnahme verlangsamen.
- Bewegung nach dem Essen: Schon 10–15 Minuten Spazierengehen senkt den postprandialen (nach dem Essen) Blutzucker messbar.
- Schlaf verbessern: Ausreichender, stabiler Schlaf fördert die Insulinsensitivität.
- Stress reduzieren: Dauerstress erhöht Cortisol, ein Hormon, das den Blutzucker steigen lässt.
Wirtschaftliche Interessen und Marketingdruck
Der globale Markt für CGM-Systeme wächst rasant. Laut Richardson et al. (2024) wird ein Umsatz von über 16 Milliarden US-Dollar bis 2030 erwartet (5). Hersteller:innen wie Abbott bewerben ihre Produkte inzwischen gezielt für gesundheitsbewusste Konsument:innen.
Grundlage ihrer Empfehlungen sind Evidenzen aus sogenannten „Proxy-Studien“, doch fehlen bis jetzt solide und direkt anwendbare Forschungsergebnisse, die den Einsatz der Sensoren im Alltag stoffwechselgesunder Menschen rechtfertigen (6).
Fazit
Die kontinuierliche Blutzuckermessung (CGM) ist kein Lifestyle-Gadget für jedermann oder jederfrau , sondern ein gezieltes Instrument, das besonders im Rahmen unseres Body Reset Programms einen echten Mehrwert bieten kann. Während wir bei gesunden Nutzer:innen ohne Risikofaktoren keine pauschale Empfehlung aussprechen und die Geräte nicht präzise genug messen, um daraus seriöse Ernährungsempfehlungen abzuleiten (5), sehen wir für Frauen in und nach den Wechseljahren einen konkreten Nutzen.
Der Body Reset setzt auf ein entspanntes und natürliches Essverhalten- ganz ohne Kalorienzählen, Abwiegen oder den ständigen Blick auf die Waage. Stattdessen steht Genuss im Vordergrund: Du isst dich satt, genau so viel, wie dein Körper gerade braucht. Der Fokus liegt darauf, den Blutzuckerspiegel stabil zu halten. Denn wer sich ausgewogen ernährt und starke Schwankungen reduziert, hat weniger mit Heißhunger zu kämpfen und fühlt sich insgesamt wohler.
Und genau hier kommt CGM ins Spiel. Es kann dir helfen zu verstehen, wie dein individueller Körper auf Lebensmittel reagiert. Es geht nicht darum, dich zu verunsichern oder in ein enges Korsett zu zwängen, sondern dir zu zeigen, wie du gut zu dir selbst sein kannst.
Das CGM ist dabei ein Instrument, das dir helfen kann, eine Balance zu finden und das nicht als dauerhafter Begleiter, sondern als zeitlich begrenztes Lernwerkzeug, das dir zeigt, wie dein Körper funktioniert und was ihm guttut. Mit diesem Wissen kannst du dann selbstbestimmt und ohne ständiges Messen deinen Weg zu mehr Gesundheit und Wohlbefinden gehen
Quellen
(1) Nutrition Hub (2025, Hrsg.): Trendreport Ernährung 2025
(2) Klonoff et al. (2017): Continuous glucose monitoring: A review of the technology and clinical use. Diabetes Res Clin Pract 133:178–192
(3) Hutchins, K. M., Betts, J. A., Thompson, D., Hengist, A., & Gonzalez, J. T. (2025). Continuous glucose monitor overestimates glycemia, with the magnitude of bias varying by postprandial test and individual – a randomized crossover trial. The American journal of clinical nutrition, 121(5), 1025–1034. https://doi.org/10.1016/j.ajcnut.2025.02.024
(4) SWR (2025): Gesund durch Influencer? – Medizin-Hype mit Risiken & Nebenwirkungen. SWR-Beitrag vom 21.01.2025
(5) Richardson, K. M., Jospe, M. R., Bohlen, L. C., Crawshaw, J., Saleh, A. A., & Schembre, S. M. (2024). The efficacy of using continuous glucose monitoring as a behaviour change tool in populations with and without diabetes: a systematic review and meta-analysis of randomised controlled trials. The international journal of behavioral nutrition and physical activity, 21(1), 145. https://doi.org/10.1186/s12966-024-01692-6
(6) mdr Wissen (2024): Blutzucker-Sensoren für Nicht-Diabetiker. Internet-Trend: Lohnt sich glukosebewusste Ernährung? Beitrag vom 01. April 2024 (zuletzt aufgerufen am 07. Mai 2025)
(7) Jarvis et al. (2023): Continuous glucose monitoring in a healthy population: understanding the post-prandial glycemic response in individuals without diabetes mellitus. Metabolism 146:155640
(8) Deutsches Ärzteblatt. (2025). Jg. 122, Heft 9.
(9) Hutterer, C. (2025, Februar). Blutzucker-Tracking: Auch etwas für Gesunde? Ernährungsradar.