Apfelessig unter der Lupe
Liebe Body Reset Teilnehmerin,
viele von euch haben mich in den letzten Tagen gefragt, wie ich zu der zurückgezogenen Apfelessig-Studie (s. dazu aerzteblatt.de) und zur Einwertung des Ernährungsmediziners Prof. Dr. Smollich stehe (s. dazu Instagram). Ich verstehe die Verunsicherung – schließlich habe ich Apfelessig in der Vergangenheit durchaus – mit Einschränkungen (nicht bei empfindlichen Zähne, empfindlichem Magen oder vorliegender Histaminintoleranz) empfohlen. Zeit für Transparenz und eine Einordnung.
Wie ich zum Apfelessig kam
Das erste Mal hörte ich von Apfelessig und seiner möglichen Wirkung auf den Darm als ich ein kleines Ekzem im Gesicht hatte und meine Schwägerin meinte, ich solle mal täglich verdünnten Apfelessig trinken. Sie hätte den Tipp von ihrer Zahnärztin erhalten. Hm, ich war skeptisch und recherchierte ich auf NutritionFacts.org, einer Seite des amerikanischen Mediziners und Autors Dr. Michael Greger – How not to die. NutritionFacts.org ist eine gemeinnützige, werbefreie Website, die sich auf evidenzbasierte Ernährungsinformationen spezialisiert.
Von Vertreter:innen der Ernährungswissenschaften und der Schulmedizin wird Dr. Greger allerdings u.a. vorgeworfen, tendenziell eher Studien zu präsentieren, die seine Thesen bestätigen, und schwächere oder widersprüchliche Ergebnisse weniger zu betonen. Viele seiner Quellen sind Beobachtungsstudien, deren Aussagekraft begrenzt ist (Korrelation ≠ Kausalität). Jetzt ist das bei Studien zur Ernährung immer eine Herausforderung (in unserem Buch Somebody told me) gehen wir darauf ein und auch die taz Autorin Kathrin Burger geht in diesem Artikel darauf ein. Ich jedenfalls erfuhr bei Dr. Greger vieles, was ich in meinem Studium gerne gelernt hätte.
Und so erfuhr ich dort u.a. von einer Studie zur Wirkung von Apfelessig auf den Blutzuckerspiegel bei Japaner:innen mit einem BMI von über 25. Dann kam ich auch irgendwann in den letzten Jahren auf Jessie Inchauspé, die unter dem Namen Glucose Goddess bekannt geworden ist. Was ich an ihr gut finde: sie hat es geschafft, Menschen in der ganzen Welt für die Wichtigkeit eines gesunden Blutzuckerspiegels zu sensibilisieren. Das würde man ja eigentlich Institutionen wie der Deutschen Gesellschaft für Ernährung wünschen. Die einen können mit stark vereinfachten Informationen die Massen begeistern, die anderen liefern ausschließlich evidenzbasierte Informationen. Ich denke, hier könnten beide Seiten zum Wohle aller voneinander lernen. Aber zurück zur Studie über die Wirkung von Apfelessig, die zurückgezogen wurde: Khezri et al. (2024) im BMJ Nutrition, Prevention & Health.
Was ist passiert?
Eine im März 2024 veröffentlichte Studie, die beeindruckende Abnehm-Effekte von Apfelessig behauptete, wurde vom Fachjournal BMJ wegen schwerwiegender methodischer Mängel zurückgezogen. Statistik-Expert:innen konnten die Ergebnisse nicht reproduzieren, fanden Fehler in der Datenanalyse und sogar Hinweise auf manipulierte Randomisierung.
Diese Studie war NIE die Grundlage meiner Empfehlungen. Ich kannte sie noch nicht mal.
Prof. Smollich, aus dessen Büchern ich für meine Arbeit sehr viel mitnehme, kritisierte nicht nur die zurückgezogene Studie, sondern erklärte Apfelessig-Effekte generell für „NICHT belegt“.
Seine Kritikpunkte an einer Meta-Analyse aus dem Jahr 2025, die gezeigt hatte, dass Apfelessig positive Effekte auf den Nüchternblutzucker und den Langzeitzuckerwert (HbA1c) von Menschen mit Typ-2-Diabetes haben könnte, lauten:
– 6 von 7 Studien aus Iran/Pakistan
– Niedrige Studienqualität
– Hohe Verzerrungsrisiken
Ich finde diese Einwertung zu kategorisch, ist doch nicht-pasteurisierter Apfelessig ein fermentiertes, probiotisches Lebensmittel (s.u.), und so habe ich noch mal . im Rahmen meiner Möglichkeiten – recherchiert.
Drei Meta-Analysen
Insgesamt zeigen drei große Meta-Analysen mit über 1.500 Teilnehmer:innen konsistente, moderate Blutzuckereffekte bei Typ-2-Diabetiker:innen. Die oben genannte Meta-Analyse ist die aktuellste (2025) und methodisch rigoroseste der drei großen Meta-Analysen mit GRADE-Bewertung und Dosis-Response-Analyse.
Die GRADE-Bewertung (Grading of Recommendations, Assessment, Development and Evaluation) ist ein international anerkannter Ansatz zur Bewertung der Qualität von Evidenz und der Stärke von Empfehlungen, die auf die Ergebnisse verschiedener Studien basieren. Sie verwendet vier Kategorien für die Qualität der Evidenz (hoch, moderat, niedrig, sehr niedrig) und berücksichtigt dabei Faktoren wie Bias-Risiko, fehlende Präzision, Inkonsistenz, Indirektheit und Publikationsbias, um das Vertrauen in die Effektschätzer zu bestimmen.
Die drei Meta-Analysen:
Shishehbor et al. (2017) – Postprandiale Effekte – Review und Meta-Analyse
Hadi et al. (2021) – Umfassende Meta-Analyse, zur Meta-Analyse
Arjmandfard et al. (2025) – Neueste Meta-Analyse, zur Meta-Analyse
Warum ich Apfelessig empfohlen hatte
Meine Empfehlungen, einmal verdünnten Apfelessig als Getränk auszuprobieren, um Blutzuckerschwankungen zu reduzieren, basierten nie auf der einen zurückgezogenen Studie, sondern auf:
den Recherchen via Dr. Greger
für mich biologisch plausiblen Mechanismen, denn allgemein zeigen sich positive Effekte fermentierter Lebensmittel auf die Blutzuckerkontrolle. Sie können den Nüchternblutzucker senken, die Insulinresistenz reduzieren und die glykämische Kontrolle bei Diabetiker:innen und bei Prädiabetiker:innen verbessern. Nicht-pasteurisierter Apfelessig ist ein fermentiertes Lebensmittel. Wenn er nicht gefiltert ist, kann er teilweise noch die Essigmutter enthalten. Die Essigmutter ist eine gallertartige Masse aus Bakterien, die den Zucker aus dem Äpfeln in Essigsäure umwandeln und somit Essig erzeugen. Sie ist ein Zeichen für die Natürlichkeit und das unvollständige Gären des Essigs und stellt keine Verunreinigung dar.
konsistenten Effekten in mehreren unabhängigen Meta-Analysen
guter Verträglichkeit in allen Studien
moderaten, realistischen Erwartungen – nie als „Wunderwaffe“, denn so etwas gibt es nicht
Was ich heute anders machen würde
Einen Hinweis darauf, dass es weitere Studien in Europa an Gesunden und Prädiabetiker:innen braucht, um die Hypothesen zu überprüfen.
„Nach der Kritik hat die BMJ-Gruppe eine neue Studie zur Überprüfung der Ergebnisse in Auftrag gegeben. Diese kam nun zu dem Schluss, dass die erste Studie zahlreiche statistische Fehler enthalte. Zudem konnten die Ergebnisse der ursprünglichen Studie nicht repliziert werden.“ aerzteblatt.de Wichtig dabei: eine Studie alleine hat leider wenig Aussagekraft.
Hauptsächlich wurden die Effekte bei Diabetiker:innen, nicht bei Gesunden untersucht.
Und die Studien fanden hauptsächlich außerhalb der EU statt, sodass eine Übertragbarkeit der Ergebnisse nicht einfachgegeben ist.
Aber ich revidiere meine Empfehlungen nicht komplett – die wissenschaftliche Basis war und ist vorhanden, auch wenn nicht perfekt.
Viele Frauen in den Wechseljahren haben aufgrund des Rückgangs des Östrogens mit Insulinresistenz zu tun, so dass in der Postmenopause das Risiko, einen Prädiabates oder sogar Diabetes Mellitus vom Typ 2 zu entwickeln, ansteigt. Da halte ich es für ein probates Mittel, einmal im begleiteten Selbstversuch zu schauen, ob sich über Ernährung auch mit fermentierten Lebensmitteln nicht präventiv etwas machen lässt, die Situation zu verbessern.
Meine Position
Was wissenschaftlich belegt wurde:
Moderate Evidenz für Blutzuckersenkung (-8 bis -22 mg/dl) bei Menschen mit Typ-2-Diabetes.
Dosierung: 10-30 ml täglich, mindestens 8 Wochen.
Effekte nicht nachgewiesen für: Gesunde Menschen, als „Abnehm-Wunder“, oder gar Diabetes-Therapie-Ersatz.
Und was ich immer wieder betone: vor dauerhafter Einnahme muss die Zahnärztin konsultiert werden. Jede Säure im Mund bedeutet einen Angriff auf den Zahnschmelz mit der Folge, dass das Entstehen von Karies gefördert werden kann. Das wollen wir nicht.
Sondern: Die Einnahme von verdünntem Apfelessig kann als ergänzende Maßnahme bei bereits bestehender Diabetes-Behandlung in Betracht gezogen werden.
Die Qualität der Evidenz ist niedrig bis moderat (GRADE-Bewertung) – das heißt aber auch nicht „unwahr“, sondern „unsicher“.
Wenn es zu verlockend klingt
Empfehlungen in den sozialen Medien klingen oft so verlockend, dass es leider manchmal zu extremen Auswüchsen kommt. In der Literatur wird folgender Fall beschrieben: Die regelmäßige Einnahme großer Mengen Apfelessig über einen Zeitraum von 6 Jahren wurde mit einer hohen Ausscheidung von Kalium, Natrium und Bikarbonat im Urin sowie einer erhöhten Plasma-Renin-Aktivität bei einem 28-jährigen Patienten in Verbindung gebracht, der aufgrund von Muskelkrämpfen und Hypokaliämie ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Der Patient nahm täglich etwa 250 ml Essig (d. h. 12,5 g Essigsäure) verdünnt in Wasser und als Salatdressing zu sich. hier zitiert
Menschen mit Histaminintoleranz könnten auf die Einnahme von verdünntem Apfelessig reagieren (z.B. mit Durchfall, Ausschlag, laufender Nase).
Mein Lernprozess
– Wissenschaft ist ein Prozess, die Wahrheit zu finden, Studie ist nicht gleich Studie und eine Studie reicht noch nicht als Beweis
– Transparenz ist wichtig
– Moderate Evidenz ≠ keine Evidenz
Mein Fazit
Apfelessig ist weder Wunderdrink, den du in der Handtasche mit ins Restaurant nehmen solltest wie bei der Glucose Goddess, noch kompletter Mythos. Die Wahrheit liegt – wie so oft – irgendwo dazwischen. Hier braucht es eine differenziertere Betrachtung.
Der Essig meiner Wahl: zuhause nutze ich für meine Dressings fast ausschließlich nicht-pasteurisierten, ungefilterten Apfelessig. Der enthält – anders als andere Essige – so gut wie keinen Zucker (schau mal bei Balsamico oder Rotweinessig in die Nährwertangaben …) – und er schmeckt mir im Dressing einfach gut. Mit Wasser verdünnter Essig schmeckt mir dagegen nicht und meine Zähne mögen das auch nicht.
Last not least: Danke fürs Vertrauen und die kritischen Nachfragen – sie geben mir die Chance, mich noch einmal tiefer mit einem Thema zu beschäftigen.
4 Antworten
Ich habe verdünnten Apfelessig über einen längeren Zeitraum eingenommen und hatte so einen dünnen Stuhlgang dass ich diesen nicht mehr kontrollieren konnte. Ich war sogar beim Arzt wegen einer vermuteten Beckenbodenschwäche und habe Krankengymnastik verschrieben bekommen. Ich habe den Apfelessig durch Zufall dann über einen Zeitraum von zwei Wochen etwa weggelassen und der extrem flüssige Stuhlgang war weg. Ich bin froh, dass mir das aufgefallen ist. Irgendetwas macht Apfelessig in der Darmflora das nicht wirklich gut ist.
Danke fürs Teilen. Dahinter kann eine Histaminintoleranz stecken. Die ist dosis- und situationsabhängig und wenn es sonst keine Beschwerden gibt, auch nicht dramatisch. Gut, dass du es so herausgefunden hast. Im Body Reset Kurs weisen wir darauf hin.
Vor 25 Jahren hatte ich eine schlimme Schuppenflechte auf der Kopfhaut. Nichts hat wirklich geholfen, ausser konsequenter Verzicht auf Zucker in Kombination mit verdünntem Apfelessig (als Getränk). Ich mag ihn heute noch gern, mir hilft das Glas morgens, den Zyklus beim 16:8 Fasten einzuhalten. Und im Sommer finde ich es erfrischender als jedes andere Getränk.
Danke fürs Teilen, Mika.