Diesen Artikel hat die Zahnärztin Dr. Viri Schwarze für Nobodytoldme.com geschrieben.

Unterscheidet sich die Mundgesundheit von Frauen und Männern?

Grundsätzlich unterscheidet sich die Definition, was wir unter Mundgesundheit verstehen, zwischen Männern und Frauen nicht. Ziel der Mundgesundheit ist es, alle Entzündungen, Infektionen oder Reize zu beseitigen und Risiken für die Entstehung neuer Erkrankungen zu minimieren, und zwar in jedem Alter und unabhängig vom biologischen Geschlecht.

Die Mundgesundheit von Frauen wird jedoch stark beeinflusst von hormonellen Übergängen (Pubertät, Schwangerschaft, Wechseljahre) sowie durch das individuelle Mikrobiom, was die Aufrechterhaltung von Mundgesundheit zur Herausforderung machen kann und mit einem erhöhten Risiko für die Entstehung von Allgemeinerkrankungen (z.B. Herzerkrankungen, Alzheimer, Autoimmunerkrankungen) verbunden sein kann.

Viele Frauen spüren die ersten Symptome der Wechseljahre schon mit Anfang 40.  Die Menopause, also der Zeitpunkt der letzten Regelblutung, erleben Frauen im Durchschnitt mit Anfang 50.  Statistisch gesehen haben sie dann noch 1/3 oder mehr Lebenszeit vor sich. Es lohnt sich also, in die Gesundheit zu investieren, insbesondere, da durch die hormonellen Veränderungen (Östrogenreduktion) auch der normale Alterungsprozess bei Frauen anders abläuft als bei Männern. Bei Männern verlaufen die hormonellen Veränderungen sehr viel langsamer und graduell, ohne die ausgeprägten Östrogenschwankungen der weiblichen Wechseljahre.

Fakt ist:

  • Hormonelle Veränderungen bei Frauen beeinflussen die orale Gesundheit und das orale Mikrobiom.
  • Schwankungen im Hormonhaushalt (z. B. durch Menstruation, Schwangerschaft, Wechseljahre) können zu Zahnfleischproblemen und Entzündungen führen.
  • Das Mikrobiom spielt eine Schlüsselrolle und steht in Verbindung mit systemischer Gesundheit, etwa in Bezug auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
  • Während der Lebensphase der Pubertät und Schwangerschaft bei Frauen können spezielle Vorsorgeangebote und Prophylaxe wahrgenommen werden. Aber für die Zeit um die Menopause gibt es keine solchen speziellen Angebote.

 

In der Zahnmedizin wurde dieses Thema bislang nicht berücksichtigt. Es besteht Forschungsbedarf zu geschlechtsspezifischen Unterschieden in der oralen Medizin. Ein interdisziplinärer, lebensphasenbezogener Ansatz ist dringend nötig, denn eine Zusammenarbeit verschiedener medizinischer Fachrichtungen stellt meines Erachtens das größte Potential einer präventionsorientierten Medizin dar.

“Ich betrachte Mundgesundheit als Teil der Lebensphasenmedizin. Diese sollte in Prävention, Diagnose und Therapie gendersensibel berücksichtigt werden.”

Was haben die Wechseljahre mit der Mundgesundheit zu tun?

Die Wechseljahre können einen erheblichen Einfluss auf die Mundgesundheit von Frauen haben.

Die hormonellen Veränderungen, insbesondere der Rückgang von Östrogen, wirken sich nicht nur auf den allgemeinen Gesundheitszustand, sondern auch auf den Mundraum aus.

Hier sind die wichtigsten Auswirkungen:

Trockenheit im Mund (Xerostomie)

  • Verminderte Speichelproduktion durch hormonelle Umstellungen.
  • Dadurch erhöhtes Risiko für Karies, Zahnfleischerkrankungen, Mundgeruch und Schwierigkeiten beim Schlucken oder Sprechen.

 

Brennendes-Mund-Syndrom (Burning Mouth Syndrome, BMS)

  • Brennen, Stechen oder Taubheit der Zunge, Lippen, Gaumen oder des gesamten Mundraums, oft ohne sichtbare Veränderungen.

 

Parodontitis-Risiko

  • Hormonelle Veränderungen können das Zahnfleisch empfindlicher machen, zu Entzündungen führen und das Risiko für Zahnfleischrückgang und Zahnausfall erhöhen.
  • Begünstigt durch Östrogenmangel, schlechtere Durchblutung und evtl. veränderte Immunantwort (natürlicher Alterungsprozess, „inflammaging“).

 

Veränderungen der Schleimhäute

  • Die Schleimhäute im Mund können dünner, empfindlicher und anfälliger für Reizungen oder Verletzungen werden.
  • Schmerzen beim Essen, beim Zähneputzen oder bei Zahnersatz (z. B. Prothesen).
  • Reizungen durch Zahnpasta und Zahnfleischbluten durch Berührung mit Interdentalbürstchen.

 

Geschmacksveränderungen

  • Einige Frauen berichten von einem veränderten Geschmacksempfinden, z. B. metallischer Geschmack oder abgeschwächtes Geschmacksempfinden. Oft werden in dieser Lebensphase besonders süße Lebensmittel und Getränke bevorzugt, was wiederum das Kariesrisiko zusätzlich erhöht.

 

Knochenschwund im Kiefer (Kiefer Osteoporose)

  • Der Rückgang von Östrogen kann zur allgemeinen Osteoporose beitragen – auch im Kieferknochen.
  • Verlust von Knochensubstanz kann folglich zu Lockerung der Zähne oder zu Problemen mit Implantaten führen.

 

Kiefergelenksbeschwerden (CMD: Cranio-Mandibuläre-Dysfunktionen)

  • Der Hormonrückgang von Progesteron kann zu niedrigerer Schmerzschwelle und -toleranz sowie höherem Schmerzempfinden führen.
  • Frauen in den Wechseljahren zeigen häufiger Trigeminusschmerzen. (Ausstrahlende Schmerzen eines Kiefer- und/oder Gesichtsbereiches).

 

Schlafstörungen erhöhen das Kariesrisiko zusätzlich. Ebenso die mit Schlafmangel verbundene Reizbarkeit, Erschöpfung, Stress und Depressionen verstärken die Mundtrockenheit und Dysbiose. Ein Teufelskreis.

Welche geschlechtsspezifischen Besonderheiten müssen in der zahnärztlichen Praxis während der Wechseljahre berücksichtigt werden?

Die schützende Wirkung des Östrogen auf das Immunsystem lässt in den Wechseljahren nach, weshalb das Risiko für bestimmte Erkrankungen, z.B. die koronare Herzerkrankung, in dieser Zeit steigt. Dies steht in Wechselwirkung mit der Mundgesundheit und umgekehrt. So sind akute und chronische Entzündungen im Mund immer behandlungsbedürftig.

Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich in der Lebensmitte deutlich mehr Frauen an uns wenden. Das kann mit einem höheren Gesundheitsbewusstsein zu tun haben oder aber mit frauenspezifischen Unterschieden in Lebensphase und Gesundheitszustand. Leider gibt es hier bislang nur sehr wenige wissenschaftliche Studien mit genderspezifischen Ansätzen.

In unserer auf Wurzelkanalbehandlungen spezialisierten Praxis stellen wir eine Häufung der Probleme mit chronischen Wurzelentzündungen um die Lebensmitte von Frauen fest, genauer gesagt zwischen dem 45.-65. Lebensjahr. (Übrigens: Eine finnische Studie hat im Falle einer erfolgreichen Wurzelkanalbehandlung, also mit Beseitigung dieser Entzündung und unter Verwendung biokompatibler Materialien, eine Senkung des zusätzlichen Risikos einer koronaren Herzerkrankung um 84% gezeigt) (1).

Viele Frauen wissen gar nicht, an wen sie sich mit oralen Symptomen der Wechseljahre wenden können und fühlen sich hilflos und verunsichert. Erstaunlicherweise geben 70% aller Frauen um die 50 bei gezielter Nachfrage an, ein oder mehrere orale Symptome zu haben. 84% dieser Frauen wissen nicht, dass diese Symptome Auswirkungen auf die Mundgesundheit haben können. Nur 2% der Frauen wenden sich damit an ihre zahnärztliche Praxis (2).

Und das, obwohl Mundgesundheit mit vielen Erkrankungen in Verbindung steht, die insbesondere vermehrt in den Wechseljahren auftreten. Wie z.B. Diabetes und Zahnfleischentzündungen (Parodontitis), Osteoporose und Zahnverlust, koronare Herzerkrankungen und Wurzelentzündungen (apikale Parodontitis), Autoimmunerkrankungen und orales Mikrobiom, Verdauungsprobleme/Blasen- und Scheidenentzündungen und Mundtrockenheit.

Was bedeutet das für Zahnärzt*innen:

Wir wissen:

  • Östrogenreduktion führt häufig zu oraler Dysbiose (Karies- und Parodontitisrisiko steigt).
  • Hypoöstrogenie führt häufig zur Entstehung und schnellerem Fortschreiten einer apikalen Parodontitis.
  • Frauen haben 5x häufiger Osteoporose, weshalb Parodontitis und Zahnverlust begünstigt und chirurgische Therapien erschwert werden.
  • Patientinnen in den Wechseljahren zeigen eine höhere Schmerzwahrnehmung.

 

Fazit und meine Empfehlung für die zahnärztliche Praxis:

  • Spezielle Anamnese
  • Umfassende Aufklärung
  • Spezielles Schmerzmanagement
  • Berücksichtigung längerer Heilungszeiten
  • Besonders abgestimmte, engmaschige Vorsorgeuntersuchungen und Prophylaxe
  • Empfehlung von Maßnahmen und Produkten bei Xerostomie
  • Ggf. interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Gynäkologin: Orale Kontrazeptiva und Hormonersatztherapie können Schmerzsymptomatik normalisieren und orale Beschwerden lindern!

Wie können Frauen in den Wechseljahren selbst dazu beitragen, ihre Zähne und ihr Zahnfleisch gesund zu halten?

Ich kläre jede Patientin ab dem 40. Lebensjahr neben der speziellen Fragestellung ihres „Problemzahnes“ auch über die Besonderheiten Ihrer Lebensphase auf, da es wenig bekannt ist, welche Auswirkungen der hormonellen Veränderungen sich bereits im ganz frühen Stadium im Mund zeigen können.
Hierfür nutze ich einen eigens entwickelten speziellen Fragebogen, der anonym zu wissenschaftlicher Forschung genutzt werden soll. Es ist mir besonders wichtig, die Frauen und ihre Symptome ernst zu nehmen und ihre Fragen umfassend und verständlich zu beantworten. Bei der speziellen Erhebung werden allgemeine Symptome der Wechseljahre und spezifische, die Mundgesundheit betreffende Fragen gestellt und anschließend besprochen und – bei Auffälligkeiten – Empfehlungen zu weiteren Untersuchungen z.B. bei der Gynäkologin oder beim Internisten etc. empfohlen.

Der Fragebogen fragt nach

  • empfindlichen Zähnen
  • empfindlichem Zahnfleisch
  • empfindlichem Mundraum
  • brennender Zunge
  • trockenem Mund (oft auch trockene Augen)
  • Geschmacksveränderungen
  • wenn die Zahnpasta plötzlich zu scharf ist

Diese Früherkennung, natürlich ergänzt mit der üblichen zahnärztlichen Untersuchung, kann das Risiko der Entstehung von Erkrankungen reduzieren und gleichzeitig für den besonderen Lebensabschnitt im Leben der Frau -auf positive Weise- sensibilisieren und Unsicherheiten vorbeugen.

“Die Zahnmedizin leistet mit der Möglichkeit der Früherkennung bei der Vorsorge und mit Aufrechterhaltung der Mundgesundheit einen wichtigen Beitrag zur allgemeinen Gesundheit.”

Deshalb sollten die Vorsorgeuntersuchungen und die Prophylaxe ernst genommen werden. Frauen in der Lebensmitte benötigen eine besonders intensive Vorsorge sowie Prophylaxe und ihre häusliche Zahnpflege sollte an die sich verändernde Situation im Mund angepasst werden.

Starke orale Probleme können z.B. durch gynäkologische Therapien wie Hormontherapie gelindert werden. Hier kann eine Zusammenarbeit zwischen der zahnärztlichen Praxis und der gynäkologischen Praxis ein reduziertes Wohlbefinden verhindern.

Empfohlene tägliche Pflegeroutine

  1. Zähne putzen – 2x täglich mind. 3 Minuten, gerne länger, Zähne und Zahnfleisch dabei „massieren“ → weiche Zahnbürste, milde fluoridhaltige Zahnpasta
  2. Zahnzwischenräume reinigen – 1x täglich → Zahnseide oder spezielle Interdentalpflegeprodukte (extra-soft)
  3. Antibakterielle Mundspülung verwenden (optional) → Chlorhexidin nur zeitlich begrenzt / besser milde pflanzliche Alternativen bei regelmäßiger Anwendung. Produkte ohne Alkohol wählen. Ätherische Öle haben positive Wirkung aufs orale Mikrobiom, ggf. Produkte ausprobieren, welches vertragen wird.

Tipps gegen Mundtrockenheit

  • Viel trinken (vor allem Wasser, ungesüßter Tee. Vorsicht: Hagebuttentee und „Zero“-Limonaden haben ein stark erosives Potential, d.H. die Säure ätzt den Zahnschmelz weg!).
  • Zuckerfreie Kaugummis oder Lutschpastillen zur Speichelanregung (Vorsicht: Nicht bei Kiefergelenksbeschwerden!).
  • Moderater Sport, z.B. viel Spazierengehen, Fitness- oder anderes Training. Bessere Durchblutung=besserer Speichelfluß, Anregung der Speichelproduktion der kleinen Speicheldrüsen.
  • Wenn das nicht reicht: Speichelersatzmittel aus der Apotheke (bei starkem Trockenheitsgefühl).
  • Luftbefeuchter im Schlafzimmer nutzen.

Zusätzliche Empfehlungen

  • Pflanzenbasierte gesunde Ernährung, Verzicht auf Zucker, geringer Verzehr von industriell gefertigten Lebensmitteln.
  • Blutzucker, Blutdruck und evtl. Hormone/Schilddrüse checken lassen.
  • Zahnarztbesuche: Alle 6 Monate zur Kontrolle und Professionellen Zahnreinigung (PZR).
  • Parodontitis behandeln lassen! Zähne auf Vitalität prüfen lassen, wurzelkanalbehandelte Zähne regelmäßig röntgenologisch überprüfen lassen (bei Beschwerden sofort, sonst nach Empfehlung der Hauszahnärztin/des Hauszahnarztes).
  • Knochengesundheit unterstützen: Kalzium, Vitamin D und Bewegung, ggf. Knochendichte messen lassen.
  • Prothesenpflege: Tägliche Reinigung + gut sitzender Zahnersatz ist besonders wichtig bei empfindlichen Schleimhäuten!
  • Rauchstopp: Rauchen verschärft alle Mundprobleme zusätzlich.
„Gute Mundpflege schützt nicht nur Zähne und Zahnfleisch, sondern wirkt sich auch positiv auf das Wohlbefinden und die Allgemeingesundheit aus.“

Interessiert an einem ganzen Vortrag von Dr. Viri Schwarze? Wir haben im Shop die Aufzeichnung dieses Webinars zur Mundgesundheit mit ihr (22 €):

Kontakt

Dr. Viri Schwarze

endoschwarze.de 

info@endoschwarze.de

Quellen:

(1) Meurman, J. H., Janket, S.-J., Surakka, M., Jackson, E. A., Ackerson, L. K., Fakhri, H. R., Chogle, S., & Walls, A. W. G. (2017). Lower risk for cardiovascular mortality for patients with root filled teeth in a Finnish population. International Endodontic Journal, 50(12), 1158-1168. https://doi.org/10.1111/iej.12772

(2) Delta Dental. (2023, September 18). Unlocking menopause’s hidden impact: 84% of women 50 and older unaware of menopause-oral health connection. Delta Dental. https://www1.deltadentalins.com/newsroom/releases/2023/09/unlocking-menopauses-hidden-impact.html